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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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Erich sondern Gilcris und doch …
    Wie ein Buch das aufgeschlagen wird, öffnete sich erneut vor mir die Welt der Menschen unter ihrem blauen Himmel. Ringsum lagerten die Hürnin auf einer Wiese, die so farbenprächtig blühte, dass ich zunächst nicht begriff, um was es sich bei den bunten Tupfern auf sattem Grün handelte. Im Sonnenaufgang sah ich staunende Augen, die blinzelnd um sich blickten und ungläubig an ihren neuen Körpern herabschauten. Aus den gepanzerten Hürnin waren Wesen aus Fleisch und Blut geworden. Die meisten von ihnen hatten vernarbte Hände und Arme, einigen fehlte ein Finger oder eine ganze Hand, wenn sie im Steinbruch einen Unfall erlitten hatten oder von den Dämonen ihrer natürlichen Waffen beraubt worden waren. Keiner von ihnen trug Kleidung. Nackt und fröstelnd standen oder saßen sie im hüfthohen Gras und je nach Persönlichkeit weinten sie über den Verlust ihrer Kraft, entdeckten fasziniert die neue Geschmeidigkeit ihres Körpers oder standen in die Betrachtung der aufgehenden Sonne versunken ganz still.
    „ Wo sind wir? “, wollte ich verblüfft wissen. Gilcris und der Halken standen immer noch dicht beieinander und waren leicht zu erkennen, obwohl sie sich verändert hatten. Der Halken sah seltsam anmutig aus, ohne die Zecken, Heuschrecken und Spinnen, die zuvor sein Gesicht entstellt hatten und auch seine Haare standen nicht mehr verfilzt von seinem Kopf ab, sondern flossen glatt wie eine Mähne über seine Schultern und seinen Rücken.
    „ Wir sind auf dem Sommerfeld.“, sagte Gilcris.
    Er war nicht mehr der Junge, der aus Hornhus verbannt worden war. Obwohl seine Gesichtszüge sein junges Alter verrieten, sprach der Ausdruck, der auf ihnen lag von Erfahrungen, die andere in einem ganzen Leben nicht machen und der schweren Verantwortung, die er nun zu tragen hatte. Er war bis ans Ende der Welt gegangen um herauszufinden wer er war und wer seine Eltern waren. Er wusste nun, dass sein Vater und sein Großvater tot waren. Er wusste nun, dass er dazu bestimmt war über die Hürnin zu herrschen und sie alle ohne Ausnahme aus der Knechtschaft zu befreien. Er wusste, dass noch ein langer Weg vor ihm lag, bis er seine Mutter finden und eine sichere Heimat für sein Volk schaffen konnte. Vielleicht war das aber auch nur ein Wunschtraum. Vielleicht war der Ausbruch der Sklaven aus dem Steinbruch das letzte Aufbäumen eines längst besiegten Volkes. Ich sah in Gilcris' Augen und verwarf die Vorstellung. Ich sah Tränen darin, aber er blinzelte sie weg, um seinen Blick über das Sommerfeld schweifen zu lassen. Im Norden sah ich eine Kette von Totenhügeln und dahinter konnte ich das bewaldete Hügelland erahnen, in dem das Volk des Waldes lebte. Weiter im Westen lagen die Berge und dahinter das Hustal mit den Sümpfen um Hornhus.
    All das und mehr schien Gilcris nun in sich aufzunehmen.
    Dann fiel sein Blick auf eine Gruppe von Mädchen, die neugierig ihre nackten Körper betasten und wandte errötend den Kopf ab.
    Während die Hürnin versuchten mit der neuen Situation, in der sie sich nun befanden, klarzukommen, sah ich mich nach den Brechern und Schleppern um, die mit uns in diese Welt gekommen sein mussten, konnte sie aber nirgends entdecken. Ich fürchtete schon, dass sie den Übergang in diese Welt allesamt nicht geschafft hatten, als ich in einem der Hürninkinder die Präsenz eines Dämons spürte. Mein Sinn für das Kristallgefüge war zurückgekehrt.
    Die Spur des Dämons war schwach und ich fand keine Möglichkeit mit dem Dämon zu sprechen, aber er war da. Auch in anderen Kindern wurde ich fündig und insgesamt mussten etwa vierzig Schlepper und Brecher in den Kindern Zuflucht gefunden haben. Außer ihnen hatten so etwas mehr als hundert Hürnin überlebt, aber in ihrer menschlichen Gestalt war es unmöglich zu sagen, ob Helion und die anderen Anführer noch unter ihnen waren.
    Nur Kemerak war ohne Schwierigkeiten auszumachen. Sobald er sich wie die meisten anderen einigermaßen an seinen neuen Körper gewöhnt hatte, ging er von Gruppe zu Gruppe, die sich im Gras zusammengefunden hatte und fragte nach Gilcris. Er wollte seinen Augen nicht so recht trauen, als sich statt eines muskelbepackten Kriegers ein schlaksiger junger Mann vor ihn hinstellte.
    „ Du meinst wohl ihn?“, fragte Kemerak verwirrt auf den Halken weisend, aber Gilcris schüttelte den Kopf.
    „ Nein, du hast mich schon richtig verstanden. Ich bin Gilcris. Ich bin es, der uns hier hergeführt hat. Was

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