Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
„Führt eine Straße dorthin?“
Gilcris schüttelte mit einem kalten Grinsen den Kopf. „ Nein, zum Siegel führt keine Straße. Die Toten werden uns den Weg dorthin weisen. Bleib in meiner Nähe, dann wird dir nichts passieren. “
„ Angst wird mich durchdringen.“, flüsterte ich unwillkürlich als ich Gilcris wie die anderen Hürnin zwischen die Bäume folgte. Hinter uns hoben sich die Flüchtlinge in unserer Gruppe klar vor der Flammenwand ab, die sich immer gieriger durch den Wald fraß.
Wir umrundeten den Steinbruch auf seiner Ostseite und wandten uns dann durch das dichter werdende Unterholz nach Nordwesten. Das Gelände war hügelig und die Luft war erfüllt von Fäulnis, die sich wie Tau auf meinen Geruchssinn legte. Alles in mir sträubte sich davor weiterzugehen und jedes Mal, wenn wir Halt machen mussten, um uns mit Äxten und bloßen Händen einen Weg durch das Gestrüpp vor uns zu bahnen, sah ich wie Hürnin in Tränen ausbrachen oder verzweifelt umzukehren versuchten. Wer stark genug war dem Einfluss dieses Ortes zu widerstehen half den anderen weiterzugehen.
Bei einem dieser Stopps sammelten wir eine Hürninfrau auf, die den Anschluss an die Gruppe des Halken verloren hatte und orientierungslos durch den Wald irrte. Gilcris und ich hatten alle Hände voll damit zu tun die Gruppe zusammenzuhalten und ich mochte mir gar nicht ausmalen, welche Probleme der Versuch mit sich gebracht hätte, zweihundert Hürnin und Arbeiterdämonen in einem einzigen langen Zug durch den Wald zu führen.
Wir mochten vielleicht zwei Stunden unterwegs gewesen sein, als wir plötzlich vor uns Stimmen hörten und kurz darauf auf die Gruppe des Halken stießen. Sie hatten sich vor einer gekrümmten Mauer versammelt, die wie die krankhafte Wucherung im Stamm einer Eiche aus dem Boden über unsere Köpfe hinausragte. Rissige Borke und Aststummel boten zwar genug Halt, um diese Mauer kletternd zu überwinden, doch die Flüchtlinge hielten respektvollen Abstand vor ihr. Im Abstand von einigen Schritten zur Mauer wuchs kein einziger Baum und so weit ich im Mondlicht sehen konnte, erstreckte sich dieses Hindernis nach Westen und Norden.
„ Was ist los? “, fragte Gilcris, nachdem er sich zum Halken durchgeschoben hatte.
„ Nichts. Wir warten. “
Gilcris nickte und ging auf die Mauer zu, um kurz vor ihr stehen zu bleiben. „ Was ist das für eine Mauer? “, rief er den versammelten Hürnin zu. „ Weiß jemand etwas darüber? “
Ein vom Alter gebeugter Mann mit grauen, vielfach gesprungenen Panzerplatten trat vor und sagte: „ Man nennt sie Oroboros. Sie ist der äußere Rand des Siegels. Ich habe gehört sie hätte Augen, die den Tod bringen. “
Wie von einer unwiderstehlichen Kraft angezogen streckte Gilcris die Hand aus und legte seine Fingerspitzen auf die rissige Borke. Wie ein ins Wasser geworfener Stein Wellen schlägt, geriet die Oberfläche der Mauer in Bewegung und auf ihrer ganzen Länge regneten Staub und abgestorbene Pflanzenteile von ihr herab zu Boden. Und dann bewegte sie sich plötzlich überall. In wellenförmigen Zuckungen schwang ihre Basis erst nach innen, dann nach außen und die gesamte Mauer begann so von links nach rechts über den Waldboden zu gleiten.
Die Hürnin wichen zurück, einige der Frauen kreischten auf, doch Gilcris rührte sich nicht von der Stelle. Erwartungsvoll blickte er nach Westen, von wo sich mit der Mauer etwas näherte.
Es waren drei gewaltige Schlangenköpfe und mit einem mal erkannte ich die wahre Natur der Mauer: Es handelte sich um ein riesiges Tier, eine dreiköpfige Schlange, die mit ihrem mittleren Kopf ihren eigenen Schwanz festhielt. Mir stockte der Atem.
Vor Gilcris kamen die Köpfe zur Ruhe und wandten sich ihm zu, so dass ihn jeder von ihnen im Blick behalten konnte.
Ohne zu wissen, wann ich zurückgewichen war, fand ich mich nun neben dem Halken und zwischen den anderen Flüchtlingen wieder. Ich beobachtete mit angehaltenem Atem, was als nächstes geschah.
Züngelnd näherte sich der diesseitige Schlangenkopf, bis er auf Armesweite an Gilcris herangekommen war. Der jenseitige Kopf hatte sich inzwischen über die anderen beiden erhoben und starrte die Hürnin, von denen immer mehr eintrafen, zwischen den Bäumen unbeweglich an.
Während die anderen beiden Köpfe starr verharrten, öffnete der diesseitige Kopf sein Maul und eine Reihe gezackter Fangzähne wurde sichtbar. Ohne zu zögern griff Gilcris hinein und presste seine Hand auf einen der
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