Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Vielleicht, dass es irgendwann zu spät sein würde und ihm die Entscheidung abgenommen wurde. »Nicht jetzt«, sagte Abu Dun noch einmal. »Ich … ich schaffe das. Ganz bestimmt.«
»Bettelst du um dein Leben?«, fragte Andrej. Es war zu spät. Abu Duns Armstumpf hörte auf zu bluten, und aus rohem rotem Fleisch wurde etwas anderes, das Ähnlichkeit mit vernarbter nachtschwarzer Haut hatte, aber krank und abstoßend wirkte. Andrej spürte nicht nur, wie der grausige Trunk Leben und Kraft in seinen Körper zurückzwang, er konnte auch dabei zusehen. Sein Atem beruhigte sich, und seine Augen verloren ihren trüben Glanz. Trotzdem fuhr er in unverändertem Ton fort: »Nicht um meines, Hexenmeister. Aber um das vieler anderer, wenn ich jetzt sterbe und als etwas anderes zurückkomme.«
»Du weißt, dass ich das nicht zulassen würde«, sagte Andrej.
»Ja, das weiß ich«, antwortete Abu Dun, fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, um das Blut wegzuwischen, und streckte dann den Arm aus.
Andrej wich zurück, aber nicht schnell genug. So gemächlich Abu Duns Bewegung auch ausgesehen hatte, war sie in Wahrheit doch schnell und von einer übermenschlichen Kraft erfüllt. Ohne die geringste Mühe nahm er Andrej den Säbel weg, drehte ihn einige Augenblicke lang auf eine Art in der Hand, als wüsste er nichts Rechtes damit anzufangen, und warf Andrej die Waffe dann mit dem Griff voran zu.
»Nein«, sagte er. »Ich glaube, du kannst es doch nicht.«
Was von Andrejs Vernunft noch übrig war, das schrie ihm zu, es jetzt zu tun, solange er auch nur noch den Hauch einer Chance dazu hatte. Abu Dun würde immer nur noch stärker werden, mit jedem Leben, das er nahm. Aber er rührte sich nicht. Abu Dun hatte rechter konnte es nicht. Wenn auch nicht, weil der Nubier stärker gewesen wäre als er.
»Aber du wirst es müssen«, fuhr Abu Dun fort, schon wieder mit deutlich kräftigerer Stimme. »Ich glaube, ich bekomme es in den Griff … aber wenn nicht, dann verlasse ich mich auf dich.«
Andrej sah das Schwert in seiner Hand an und nickte zwar, wusste aber zugleich, dass es eine Lüge war. Er musste es tun – sie hatten zu oft erlebt, was geschah, wenn einer ihrer Art die Kontrolle über seine Kräfte verlor und die Freude am Töten entdeckte-, aber er wusste auch, dass er es nicht konnte. Sie waren schon zu lange zusammen. »Dann musst du jemanden suchen, der es tut«, sagte Abu Dun, als könnte er seine Gedanken lesen. Doch Andrej wusste, wenn man so lange zusammen war wie sie, dann wusste man nicht nur, wie, sondern auch was der andere dachte.
Ein Schuss fiel und riss Andrej in die Wirklichkeit zurück. Er wartete darauf, dass eine ganze Salve folgte, hörte aber nur ein mehrfach gebrochenes, leiser werdendes Echo und schob den Saif schließlich in die lederne Scheide an seinem Gürtel zurück. »Lass uns gehen.« Abu Dun stemmte sich noch weiter in die Höhe und nickte sogar, ließ sich aber im nächsten Moment auch schon wieder in die Hocke sinken und begann in den Kleidern des Toten zu wühlen. Andrej wartete, bis er den Beutel mit Kat gefunden und eingesteckt hatte, dann sagte er: »Deine Hand.«
Abu Dun sah auf den Stumpf an seinem rechten Arm hinab.
»Sie ist weg«, bestätigte er.
»Verbinde die Wunde.«
»Aber sie blutete nicht mehr«, gab Abu Dun zu bedenken.
Andrej sah ihn nur finster an, und Abu Dun, schon wieder fast ganz der Alte, machte ein gespielt schuldbewusstes Gesicht und beugte sich dann erneut über den Toten, um einen Streifen aus seinem Hemd zu reißen. Nachdem er ihn gründlich im Blut des Leichnams eingeweicht hatte, wickelte er ihn zu einem Verband um den Armstumpf, oder versuchte es wenigstens, kam aber mit nur einer Hand nicht besonders gut mit dieser Aufgabe zu Rande.
Andrej sah dem Trauerspiel eine Weile zu und erbarmte sich dann, indem er ebenfalls in die Hocke ging und ihm half. Der Stoff war schwer und nass vom Blut des Toten.
Auch in ihm regte sich eine düstere Gier, nicht schreiend und mit der Kraft einer ausgehungerten Bestie, wie er es kannte, sondern als verlockendes Flüstern, das ihn dazu bringen wollte, die Finger in das Blut des Toten zu tauchen und von der berauschenden Wärme und Süße zu kosten, enthielt sie doch noch immer die Erinnerung an das Leben, welches das Blut einst transportiert hatte.
»Ja, Hexenmeister, genauso ist es«, sagte Abu Dun. »Und mit jedem Mal verlockender.«
»Liest du jetzt auch schon meine Gedanken?«, fragte Andrej, zornig, aber auch
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