Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
dessen Quelle nicht auszumachen war. Er durchsuchte vier oder fünf Häuser, fand aber nur verängstigte Frauen und Kinder und einen verletzten Machdiji, der bei seinem Anblick hastig das Schwert wegwarf und hinkend davonrannte.
Schließlich fühlte er Schmerz, ein kurzes Aufflackern von Qual und unbeschreiblichem Entsetzen, das dann mit jäher Endgültigkeit erlosch, und drehte sich rasch in die Richtung, aus der es gekommen war. Das lautlose Schreien wiederholte sich nicht, aber einmal darauf aufmerksam geworden, fiel es ihm leicht, seinen Ursprung zu finden: ein kleines Haus ganz am anderen Ende der Straße, das schon fast zu den letzten des Dorfes gehörte. Gleich hinter der Tür stolperte Andrej über einen Toten. Er fiel nicht, war aber nahe daran. Aus einem unbehaglichen Gefühl heraus betrachtete er den Leichnam genauer.
Der Mann lag auf dem Rücken, mit weit geöffneten Augen, in denen der Tod einen Ausdruck von Grauen hinterlassen hatte, wie es kein Mensch jemals erfahren sollte. Auf den ersten Blick konnte er keinerlei äußerliche Verletzungen entdecken und ahnte, dass es auch so bleiben würde, wenn er ihn gründlicher untersuchte. Dennoch klammerte er sich an die Hoffnung, dass Abu Dun ihm vielleicht nur das Genick gebrochen oder vielleicht durch einen harten Schlag sein Herz zum Stillstand gebracht hatte.
Die Hoffnung währte genau so lange, bis er im Zimmer nebenan den zweiten Toten fand. Abu Dun kniete über ihm und wandte Andrej den gekrümmten Rücken zu, richtete sich bei seinem Eintreten aber halb auf und drehte das Gesicht zu ihm hoch, und Andrej wünschte sich für die Dauer eines einzelnen, durch und durch schrecklichen Atemzuges nichts mehr, als dass er es nicht getan hätte.
Abu Duns Zähne waren nicht mehr grün, sondern rot. Blut lief ihm aus dem Mundwinkel und verlieh seinem Gesicht Ähnlichkeit mit einer grässlichen schwarzen Teufelsmaske, und in seinen Augen loderte etwas, das Andrej nicht sehen wollte. Nicht bei ihm.
»Andrej …«, stöhnte er. »Du –«
Andrej versetzte ihm einen Stoß, der ihn gegen die Wand taumeln ließ, wo er schwerfällig zusammenbrach, sank neben dem Toten auf die Knie und untersuchte ihn rasch, obwohl er wusste, dass es nicht mehr viel für ihn zu tun gab. Dass er tot war, hatten ihm seine Sinne schon verraten, bevor er hereingekommen war.
Entsetzlich war die Art, wie er gestorben war.
Als er den ersten Toten gefunden hatte, da hatte er sich fast gewünscht, eine Verletzung, egal welche, an ihm zu entdecken. Jetzt wusste er, dass dieser Wunsch vielleicht etwas vorschnell gewesen war.
Die Kehle des Mannes war herausgerissen, als wäre er einem tollwütigen Raubtier zum Opfer gefallen. Auch seine Augenhöhlen waren leer, doch mit einem einzigen Blick erkannte Andrej, dass es nicht diese schrecklichen Wunden gewesen waren, die ihn umgebracht hatten. Jemand hatte ihm das Leben gestohlen.
Langsam richtete er sich auf und zog das Schwert aus dem Gürtel, während er sich zu Abu Dun herumdrehte.
»Noch … nicht, Hexenmeister«, flüsterte der Nubier. »Noch nicht.«
Andrejs Hand schloss sich fester um die Waffe, doch er rührte sich nicht. Vielleicht hatte er nur diese eine Chance. Trotz der beiden Leben, die Abu Dun genommen hatte, musste ihm seine Verletzung so zu schaffen machen, dass ersieh kaum auf den Beinen halten konnte. Doch das würde nicht lange so bleiben, vielleicht sogar nur noch für Augenblicke. Und Andrej war ganz und gar nicht überzeugt, gegen einen wirklich entschlossenen Abu Dun bestehen zu können. Nicht einmal, wenn dieser nur eine Hand hatte. Wenn er es zu Ende bringen wollte, dann jetzt. Aber er rührte sich nicht. »Warum?«, fragte er nur.
»Weil ich nicht sterben darf«, antwortete der Nubier mit leiser, beinahe brechender Stimme. »Nicht so. Nicht, wenn ich Angst haben muss, als Ungeheuer zurückzukommen.« »So wie jetzt, meinst du?«
Abu Dun schüttelte schwach den Kopf und drückte die Knie durch, um sich mit dem Rücken an der Wand nach oben zu schieben, was ein unheimliches rasselndes Geräusch verursachte, wie der Panzereines Rieseninsekts, der über Stein scharrt. Fast anklagend streckte er seinen immer noch blutenden Armstumpf in Andrejs Richtung und musste zweimal ansetzen, bevor er sprechen konnte. »Es ist …«, brachte er mühsam heraus, »… es ist dieses verdammte Zeug. Es frisst mich auf.«
Andrej rührte sich immer noch nicht, ließ aber das Schwert nicht sinken. Erwartete, worauf, wusste er nicht.
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