Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
landete Abu Dun neben ihm. »Ich bin zwar nur ein unwissender Mohr, aber die eine Hand, die ich noch habe, stelle ich Euch gerne zur Verfügung … ganz egal wozu.« Behutsam ließ Andrej das reglose Mädchen zu Boden sinken und machte Platz, als weitere Männer in die Dau sprangen und sie noch heftiger erschütterten. Schüsse krachten, beantwortet von Schreien und weiteren Schüssen, und noch mehr Männer sprangen in das Boot, bis Andrej schon beinahe fürchtete, dass es wie ein Stein untergehen müsste. Sharif selbst gehörte zu den Letzten, die an Bord kamen, nur noch gefolgt von zwei Janitscharen, die ihre Musketen abfeuerten und die Läufe der leer geschossenen Waffen dann benutzten, um das Schiff vom Steg abzustoßen.
Erstaunlicherweise verzichteten die Verfolger darauf, ihrerseits auf sie zu schießen, was aber nicht bedeutete, dass sie aufgaben. Ein halbes Dutzend Machdiji versuchte die größer werdende Distanz zur Dau zu überspringen. Die meisten landeten im Wasser, zweien jedoch gelang es tatsächlich an Bord zu kommen – woraufhin sie sofort unsanft ins Wasser zurückexpediert wurden. Dann waren sie außer Reichweite, und das Bootdümpelte langsam in Richtung Flussmitte und begann sich in die Strömung zu drehen.
Sharif drängelte sich unsanft zu ihm durch. Mit vor Sorge dunklen Augen sah er das reglose Mädchen in Andrejs Armen.
»Keine Angst«, sagte Andrej rasch und mit einer besänftigenden Geste. »Sie ist nicht verletzt, sondern nur ohnmächtig. Und nicht für lange.« Sharif ließ sich auf ein Knie sinken und tastete mit den Fingerspitzen nach dem Hals des Mädchens, um seinen Puls zu fühlen. Auch nachdem er ihn gefunden hatte, wurde sein Blick nicht freundlicher. »Was ist passiert?« Andrej hob die Schultern. »Es muss wohl die Aufregung gewesen sein. Ihr wisst ja, wie diese jungen Frauen sind.« »Ja, so muss es wohl sein.« Sharifs Blick machte sehr deutlich, was er von dieser Antwort hielt. Er erhob sich jäh und sah zum Ufer. Als Andrej seinem Blick folgte, runzelte er überrascht die Stirn.
Mindestens fünfzig oder sechzig Machdiji bildeten eine schwarze Mauer am Ufer, die allermeisten mit – vermutlich erbeuteten – Musketen bewaffnet, doch nicht ein einziger machte auch nur Anstalten, auf sie anzulegen oder gar zu schießen. Sie starrten ihnen nur hinterher, ein durch und durch unheimlicher Anblick, der seine Wirkung auf die Männer ringsum nicht verfehlte – und auch auf Andrej nicht, wenngleich er es niemals zugegeben hätte. »Was tun sie da?«, wunderte sich auch Sharif. »Wieso schießen sie nicht?«
Andrej konnte nur mit einem ratlosen Gesicht antworten, doch Abu Dun hob seinen Armstumpf und deutete in die entgegengesetzte Richtung, den Fluss hinab. »Das müssen sie auch nicht.«
Noch ein gutes Stück flussabwärts, aber mit geblähten Segeln und zusätzlicher Ruderunterstützung schnell näher kommend, erblickte Andrej ein gutes halbes Dutzend Daus. Und er war nicht im Mindesten überrascht, als ersieh herumdrehte und flussaufwärts eine zweite Flotte der kleinen Schiffe entdeckte, die sich ihnen mit deutlich größerem Tempo näherte.
»Sie wollten uns ganz genau hier haben«, sagte Sharif düster. »Und wir sind ihnen direkt in die Falle getappt!« »Vielleicht sind sie einfach nur auf alles vorbereitet«, sagte Abu Dun rasch. »Darüber hinaus schlage ich vor, dass wir erst einmal versuchen, die nächsten Minuten zu überleben. Sollte es uns gelingen, können wir hinterher immer noch nach einem Schuldigen suchen.« Sharif nickte. »So ist es.« Dann wandte er sich zu Andrej um. »Was schlagt Ihr vor?« »Ich?«, fragte Andrej überrascht.
»Ich fürchte, Ihr seid der Einzige hier, der mit Wasser mehr anzufangen weiß, als es zu trinken«, antwortete Sharif. »Also eigentlich trinkt er ja nur –«, begann Abu Dun und zog es dann vor, lieber nicht weiterzusprechen, als ihn ein eisiger Blick aus Andrejs Augen traf. Doch so ungern er es zugab, Sharif hatte recht. Seine Janitscharen waren Soldaten, die die Wüste kannten und vielleicht die Mauern stolzer Städte, die sie belagert und geschleift hatten, doch er hatte schon eine ganze Flotte kommandiert, als Sharifs Großvater noch nicht einmal auf der Welt gewesen war. Wortlos erhob er sich, drängelte sich auf dem überfüllten Deck bis zum Bug und sah noch einmal nach rechts und links, aber es blieb dabei: Sie saßen in der Falle. Die beiden Flotten näherten sich ihnen rasch und mit unterschiedlichem Tempo, aber er
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