Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
bis zum Bosporus hinab Schlange stehen, um dieses prachtvolle Quartier zu beziehen«, sagte Abu Dun verächtlich und mit vollem Mund. Klebriger Fruchtsaft lief aus seinen Mundwinkeln und zog zwei glitzernde Spuren bis zu seinem Kinn hinab. »Und wenn ich erst an das gute Essen denke …« »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Andrej besorgt – und vollkommen überflüssigerweise. Mit Abu Dun war ganz und gar nicht alles in Ordnung. Er wusste nur nicht, wieso.
Abu Dun funkelte ihn an, aber er sagte nichts mehr, sondern kaute laut schmatzend weiter, hielt dann plötzlich inne und verzog das Gesicht.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Andrej erneut.
Abu Dun betrachtete die angebissene Frucht in seiner Hand einen Moment lang stirnrunzelnd, verzog dann angeekelt die Lippen und warf sie auf den Tisch zurück, wenn auch nur, um sofort nach einer anderen Köstlichkeit zu greifen.
»Ich traue diesem Kerl nicht«, sagte er.
»Sharif?«
»Süleyman«, antwortete Abu Dun, schon wieder mit vollem Mund und kaum verständlich. »Ich weiß nicht viel über ihn, aber was ich gehört habe, das hat mich keinen Mann erwarten lassen, der um etwas bittet und ein Nein als Antwort akzeptiert.«
Andrej war er nicht wie ein Mann vorgekommen, der überhaupt um irgendetwas bittet oder das Wort Bitte auch nur kannte. Er nickte.
»Was mich zu einer Frage bringt, die ich dir schon seit einer ganzen Weile stellen will«, fuhr Abu Dun fort.
»Warum« – er rülpste lautstark- »sind wir eigentlich hier?«
»Weil Sultan Süleyman der Zweite uns so überaus freundlich eingeladen hat?«
Abu Dun schluckte, stopfte sich den Mund sofort wieder voll und fuhr mampfend fort: »Ja, schon. Aber warum haben wir diese überaus freundliche Einladung angenommen? Und sag jetzt bitte nicht, du hättest Angst vor Sharif und seinen Spielzeugsoldaten gehabt.« Andrej antwortete nicht gleich. Sharifs Spielzeugsoldatenwaren alles, nur nicht das. Die Janitscharen genossen ihren Ruf als Elitekämpfer nicht umsonst, und ein halbes Dutzend dieser Männer stellte selbst für Abu Dun und ihn eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Aber sie waren schon in aussichtsloseren Situationen gewesen und hatten weitaus stärkere Gegner besiegt. Dieselbe Frage, die Abu Dun ihm gerade gestellt hatte, hatte ersieh im Laufe des zurückliegenden Tages schon mehr als einmal selbstgestellt, und vielleicht war die Antwort ebenso simpel wie sonderbar: Er hatte einfach das Gefühl gehabt, dass es richtig war. Erst jetzt bemerkte er das zweite Geschenk, das Süleymans dienstbare Geister ihnen dagelassen hatten: zwei prall gefüllte Ledersäckchen, aus denen ihm etliche schwere Goldmünzen entgegen blitzten, als er sie aufschnürte.
»Jedenfalls lässt er sich den Spaß etwas kosten«, sagte Abu Dun, rülpste noch einmal und schüttelte den Kopf. Sein Atem roch leicht sauer. »Trotzdem, ich traue dem Kerl nicht. Er lässt uns ganz bestimmt nicht einfach so gehen.« Andrej verzog angewidert das Gesicht, legte das Geldsäckchen zurück und sagte: »Hat er uns das nicht vorhin selbst angeboten?«
»Und du glaubst, er hält Wort?« Abu Dun lachte böse – und schmatzte wieder. »Oder finden wir uns mit einem Dutzend Pfeile im Rücken wieder, weil man uns auf der Flucht erschossen hat?«
Solcherlei Spielchen hatte Süleyman nicht nötig. Ohne seinem Freund zu antworten, trat Andrej wieder an eines der großen Fenster. Er war derselben Meinung wie Abu Dun, aber anders als er war Andrej nicht misstrauisch, er war alarmiert. Sein instinktives Gespür für Gefahr hatte ihm schon mehr als einmal den Hals gerettet, und jetzt war es wieder da, so intensiv wie selten.
Er überlegte, ob sie einfach gehen sollten. Draußen waren keine Wachen mehr zu sehen gewesen, aber sie waren da, zweifellos. Doch sie würden sie nicht wirklich aufhalten können, wenn sie sich tatsächlich entschlossen, keine Stunde mehr zu warten, sondern den Palast sofort zu verlassen. Und dasselbe galt für ganz Konstantinopel. Es wäre nicht die erste Stadt, aus der sie verschwanden, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Aber was, wenn es genau das war, was Süleyman wollte, aus welchem Grund auch immer? »Süleyman der Kurze«, fuhr Abu Dun von einem lauten Rülpser begleitet fort, »ist nicht für seine Großzügigkeit und seine warmherzige Art bekannt. Dir ist schon klar, warum er will, dass wir diesen Machdi ausfindig machen und töten, oder? Ein Ungläubiger und ein Nubier, der den meisten dieser Zwerge mindestens genauso
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