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Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi

Titel: Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wundere mich nur, dass der Sultan seine eigene Tochterauf eine so gefährliche Mission schickt«, sagte Andrej.
    »Und wem könnte er mehr vertrauen als seinem eigenen Fleisch und Blut?«, fragte Murida schnippisch. Doch als sie nach einer Pause leiser weitersprach, klang ihre Stimme bitter. »Außerdem bedeutetes nichts. Süleyman hat zweihundert Töchter.«
    »Zweihundert?!«, rief Abu Dun.
    »Vielleicht auch nur fünfzig oder auch dreihundert«, sagte Murida. »Von wahrscheinlich ebenso vielen Frauen. Der Sultan hat einen gesunden Appetit, was das angeht.«
    Abu Dun lachte leise. »Das klingt aber nicht nach einer liebenden Tochter.«
    »Es hat seine Vorteile, der Bastard des Sultans zu sein«, sagte Murida ironisch. »Man lernt interessante Leute kennen. Euch, zum Beispiel.«
    »Oder Hauptmann Sharif«, sagte Abu Dun.
    Als Murida wieder schwieg, bedauerte Andrej, ihr Gesicht nicht genauer erkennen zu können. Abu Duns Bemerkung ärgerte ihn, denn sie war überflüssig, aber er schwieg, und nach einer kurzen Weile fuhr das Mädchen von sich aus fort: »Er ist nicht so, wie ihr glaubt.«
    »Schlimmer?«, fragte Abu Dun.
    »Sharif ist kein schlechter Mann!«, begehrte Murida auf.
    »Nein, ganz gewiss nicht«, höhnte Abu Dun. »Er ist ein richtiger Wohltäter. Wie konnte ich das nur vergessen? Ein wahrer Segen für die Menschheit, nicht wahr?«
    »Er tut nur das, was getan werden muss!«, antwortete Murida hitzig. »Jemand muss es tun.«
    »Warum?«, fragte Abu Dun.
    »Wenn er es nicht täte, dann ein anderer. Vielleicht ein Schlimmerer.«
    »Du meinst jemand, der die Menschen nicht bei lebendigem Leib verbrennt?«, fragte Abu Dun.
    Andrej hörte, wie die junge Frau scharf die Luft zwischen den Zähnen einsog, und warf Abu Dun einen warnenden Blick zu, obwohl er wusste, dass dieser ihn nicht sehen konnte. »Ihr habt doch auch schon Menschen getötet!«, fauchte sie.
    »Viele«, bestätigte Abu Dun. »Aber nicht so.«
    Murida wollte abermals auffahren, doch in diesem Moment schepperte und scharrte es über ihnen, und die Klappe wurde geöffnet. Andrej ging hin und kniff die Augen gegen das ungewohnte Sonnenlicht zusammen, das zu ihm herabfiel, erkannte aber trotzdem die Umrisse der alten Frau, die sie hergebracht hatte.
    Sie kam nur wenige Stufen weit die Treppe herab und beugte sich dann ächzend vor, um ihm einen großen Beutel zu reichen. Er war so schwer, dass er sich wunderte, wie sie ihn hatte tragen können.
    »Hier ist Wasser und etwas zu essen«, sagte sie. »Und hört auf, so laut zu reden! Man kann euch in der halben Stadt hören! Ihr müsst hierbleiben, bis es dunkel geworden ist. Die Soldaten durchsuchen das ganze Viertel, und sie kontrollieren jeden, den sie auf der Straße antreffen.
    Jemand hat Hauptmann Sharif umgebracht, heißt es.«
    »So?«, fragte Andrej. »Wie bedauerlich.«
    »Ich hoffe, ihr wart es, denn dieser Hund hatte den Tod tausendfach verdient«, sagte sie inbrünstig. »Aber selbst wenn nicht, kommt ihr hier nicht weg, solange es hell ist. Ihr bleibt bis Sonnenuntergang, dann wird euch jemand abholen. Und seid im Namen des Propheten still, sonst seid ihr tot und ich auch!«
    Und damit fuhr sie herum, warf die Klappe wieder hinter sich zu, und erneut wurde es dunkel. Dieses Mal für länger.

Kapitel 6
    Allmählich begann sich Andrej zu fragen, ob er diese Stadt überhaupt noch einmal bei Tageslicht sehen würde, so quälend langsam war die Zeit verstrichen. Auch nach Sonnenuntergang war die alte Frau nicht gleich gekommen, um sie abzuholen, sondern hatte sie noch zwei weitere nicht enden wollende Stunden warten lassen.
    Aber schließlich war sie doch aufgetaucht und hatte einen unauffälligen schwarzen Mantel für Murida und ein Schwert für Abu Dun gebracht. Es war rostig und sah in den Pranken des Nubiers aus wie ein Messer, und auch der Mantel vermochte weder Muridas schmale Statur noch die Zartheit ihrer Glieder zu kaschieren – gar nicht davon zu reden, dass sie sich unübersehbar wie eine Frau bewegte Dennoch war er der Alten zutiefst dankbar, denn sie riskierte tatsächlich ihr Leben für sie. Er sagte es ihr auch, bekam aber nur ein abfälliges Schnauben zur Antwort, von dem er nicht sagen konnte, ob es verächtlich oder hasserfüllt war. Trotzdem übernahm sie, ohne zu klagen, die Führung, auch wenn sie damit ein weiteres Risiko einging, wie ihnen schon auf dem ersten Stück klarwurde.
    Die Straßen hatten sich geleert, doch noch immer waren Soldaten in großer Zahl

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