Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
warteten, den Witzbold hinter der falschen Wand mitgerechnet. Ohne dass es eines weiteren Klopfzeichens bedurfte, wurde die Tür am Ende des kurzen Ganges geöffnet-diesmal tatsächlich von einem Menschen und ohne theatralisches Getue –, und sie betraten einen großen Lagerraum. Eine einzelne Sturmlaterne spendete rötliches Licht. Der Raum musste den Großteil der gesamten Grundfläche einnehmen, wirkte aber trotzdem beengt, weil er mit Kisten, Fässern, Ballen und Säcken und anderem Frachtgut vollgestopft war. Hier erwarteten sie zwei weitere Männer, von denen sich einer demonstrativ auf einen gewaltigen Krummsäbel stützte, der, wenn man nicht über die Körperkräfte eines Abu Dun verfügte, alles andere als funktionell war, aber vermutlich genau dessen Begehrlichkeit erweckte. Der andere war ein Mann schwer zu bestimmenden Alters, der auf einem mit dicken Seilen umwickelten Ballen saß und Abu Dun flüchtig, Andrej dafür umso aufmerksamer ansah, wenn auch ohne sich von seinem Platz zu erheben. Er trug ein schlichtes, aber sichtbar teures Gewand, und sein Gesicht wurde von einem schwarzen Vollbart beherrscht, der so präzise ausrasiert war, dass er fast wie aufgemalt wirkte.
»Das sind sie«, sagte ihr Führer und zeigte zuerst auf Abu Dun, dann auf Andrej. Andrej sah sich unauffällig nach den beiden übrigen Männern um, deren Nähe er spürte, konnte sie aber nirgends entdecken. Ihr unbekannter Gastgeber war ein vorsichtiger Mann, der offenbar gerne einen Trumpf in der Hinterhand behielt.
»Komm zu mir, mein Kind.« Der Bärtige streckte Murida eine Hand hin, an der nicht sehr viel weniger Ringe blitzten als an denen des Sultans. Unwillkürlich machte Murida einen halben Schritt, blieb dann aber wieder stehen und wich sogar wieder zurück. Andrej spannte sich fast unmerklich, um an ihre Seite zu springen, sollte es sich als nötig erweisen.
»Du hast doch nicht etwa Angst vor mir, oder?«, fragte der Bärtige. Erzwang die Andeutung eines Lächelns auf sein Gesicht und stand auf, sodass Andrej sehen konnte, dass er sehr groß war; nicht ganz so groß wie Hauptmann Sharif oder gar Abu Dun, aber dennoch eine imposante Erscheinung, von der etwas leicht Einschüchterndes ausging. »Das ist wirklich nicht nötig. Du bist hier unter Freunden.«
»Und wir?«, fragte Andrej.
Es war ganz bestimmt kein Zufall, dass der Bärtige einen Moment verstreichen ließ, ehe er sich betont langsam zu Andrej herumdrehte. »Das kommt ganz darauf an, was euch hierherführt.«
Bevor Andrej antworten konnte, deutete Abu Dun auf ihren Führer. »Der da.«
»Du wirst schweigen, bis man dir gestattet zu sprechen!«, fuhr ihn der Machdiji an.
»Und wenn nicht?«, erkundigte sich Abu Dun. Alarmiert wendete Andrej sich zu ihm um.
Es war nicht die Wahl der Worte. In seiner Stimme war ein ganz bestimmter Ton, der Andrej klarmachte, dass er nicht nur mit Widerspruch rechnete, sondern fast darauf hoffte, und es in seiner Antwort vielleicht nicht bei Worten belassen würde. Und nun, einmal darauf aufmerksam geworden, bemerkte er, wie angespannt der Nubier wirkte, beinahe verkrampft, und auf seiner Stirn und Oberlippe glänzte Schweiß.
Er war nicht der Einzige, dem das aufzufallen schien. Der Bärtige lächelte zwar unerschütterlich weiter, aber auch er wirkte ein wenig alarmiert, und sein Begleiter hob seinen monströsen Säbel, legte ihn sich in die Armbeuge wie eine Mutter ihr Kind und nahm demonstrativ hinter ihm Aufstellung. Abu Duns Augen leuchteten in böser Vorfreude auf.
»Wir sind aus keinem bestimmten Grund hier«, sagte er rasch. »Abu Dun sagt die Wahrheit. Euer Freund hier hat uns hergebracht. Und seine Einladung war so überaus freundlich, dass ich sie nicht ablehnen konnte.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, antwortete der Bärtige mit einem schmalen Lächeln. »Aber du musst Hadschi verstehen. Wir kennen euch nicht und wissen nichts über eure Absichten. Und es gibt viele in dieser Stadt, die uns Übles wollen.«
»Hadschi?«, feixte Abu Dun. »Ein … interessanter …
Name.«
»Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossawah, um genau zu sein«, knurrte der Angesprochene. Seine dunklen Augen blitzten in schierer Mordlust. »Stört dich irgendetwas daran?«
»Nicht im Mindesten«, versicherte Abu Dun glucksend. »Ich will dir gewiss nicht zu nahe treten, mein Freund … das haben deine Eltern bereits erledigt, scheint mir. Was hast du getan, mit einem solchen Namen bestraft zu
Weitere Kostenlose Bücher