Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
wie sie gekommen waren, und Süleyman und Sharif ihre kleinen Spielchen um Macht und Reichtum allein spielen zu lassen. Was ging es sie an?
Doch dieser Gedankengang war falsch. Sie konnten nicht weg, bevor sie nicht Abu Duns Kat-Problem gelöst hatten: Und dazu mussten sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um ganz tief in das Rattennest zu stechen, auf das sie sicher stoßen würden.
Nachdem sie den Machdi gefunden hatten. Und ganz gleich, ob Murida sie nun hintergangen hatte oder nicht, es widerstrebte ihm zutiefst, sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Auch wenn er wusste, dass das Mädchen ganz gut auf sich allein aufpassen konnte, spürte er doch den seltsamen Drang, es zu beschützen.
Da die Fenster des Wagens verhängt waren, war nicht zu erkennen, wohin man sie brachte, doch der Salzwassergeruch ließ ihn vermuten, dass sie sich dem Hafen näherten. Als sie schließlich anhielten und die Tür geöffnet wurde, sah er seine Vermutung bestätigt: Sie waren wieder am Hafen, wenn auch in einem gänzlich anderen Teil als vor vier Tagen. Statt einer Ansammlung kleiner Fischerboote und Daus erblickte er einen Wald aus Masten, der sich fast bis zum Himmel zu erstrecken schien. Unmittelbar vor ihnen, kaum einen Steinwurf entfernt, war ein zweimastiger Koloss an der Kaimauer vertäut, der ihm in der Dunkelheit eher wie eine schwimmende Festung vorkam. Gleich vier oder fünf schmale Planken führten zu seinem hohen Deck hinauf, und zahlreiche Laternen stanzten rote und gelbe Löcher in die verblassende Dunkelheit, als hätte sich der Sternenhimmel nun gänzlich auf die Straßen hinabgesenkt. Überall hasteten Gestalten umher, viele von ihnen schwer mit Waren beladen, die sie an Bord trugen.
»Das ist die Elisa«, sagte Abu Dun, der hinter ihm aus der Kutsche stieg. »Kapitän Fernandes’ Schiff.« Andrej brauchte einen kleinen Moment, um diesem Namen eine Erinnerung zuzuordnen. »Der Spanier, mit dem du verhandelt hast?« Abu Dun nickte. Schritte erklangen, und Andrej wandte sich schnell um. Es dauerte einen Moment, bis er Sharif erkannte, denn der Janitscharenhauptmann hatte sich radikal verändert. Statt seiner prachtvollen Uniform trug Sharif nun einen einfachen schwarzen Mantel über einem gleichfarbigen knöchellangen Gewand, das von einem schlichten Ledergürtel zusammengehalten wurde, aus dem der goldfarbene Griffeines Säbels ragte, und die Stelle des spitzen Helmes mit dem blauen Tuch hatte ein ebenfalls schwarzer Turban eingenommen. Wären sein Gesicht und seine Hände ebenfalls schwarz gewesen, hätte man ihn für eine (nicht viel) kleinere Kopie von Abu Dun halten können. »Hauptmann«, sagte Andrej verwirrt, aber auch ganz sacht beunruhigt.
»Andrej. Abu Dun.« Sharif nickte ihnen zu. Fast wäre ihm sein Turban verrutscht. Anscheinend war er es nicht gewohnt, so etwas zu tragen. »Ich muss mich bei euch entschuldigen, dass es mir nicht möglich war, euch persönlich abzuholen. Ich hoffe doch, man hat euch gut behandelt?«
Andrej zog nur die Augenbrauen hoch, und auch Abu Dun sagte zunächst nichts – doch Andrej meinte sein verdutztes Stirnrunzeln geradezu hören zu können. Sharif deutete sein Schweigen offensichtlich als Zustimmung, denn er wandte sich augenblicklich um und ging los, blieb aber schon nach zwei Schritten wieder stehen, als ihm auffiel, dass sie ihm nicht folgten. »Gibt es ein Problem?«, wollte er wissen. »Ich hoffe doch, es hat nichts mit dem Schiff zu tun? Immerhin habt ihr es selbst ausgesucht … eine ganz ausgezeichnete Wahl übrigens, wenn ich das sagen darf.«
»Mit dem Schiff ist alles in Ordnung«, antwortete Andrej. »Aber ich muss unser letztes Gespräch wohl falsch verstanden haben. Ich dachte, du überlässt uns die Wahl, ob wir abreisen oder dich und deine Männerbegleiten.« »Und jetzt glaubt ihr, ich hätte für euch entschieden und wollte euch um den großen Spaß bringen, einen Monat lang durch die Wüste zu reiten, von Sandstürmen und Hitze geplagt zu werden, euch giftiger Skorpione und angriffslustiger Beduinen zu erwehren und was es an echten Männervergnügen dort draußen noch alles geben mag«, sagte Sharif. »Ja, ich kann verstehen, dass ihr enttäuscht seid. Wann bietet sich einem schon einmal die Gelegenheit zu einer so kurzweiligen Reise?« »Darum geht es nicht«, antwortete Andrej. »Aber wer weiß – vielleicht hätten wir Euch ja sogar begleitet.« »Und diese Entscheidung könnt ihr immer noch treffen«, fügte Sharif feixend
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