Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
geärgert, doch dann rief ersieh wieder ins Gedächtnis, wie dunkel es hier drinnen war und um wie vieles schärfer seine Augen waren.
Wahrscheinlich sah Fernandes nicht viel mehr als einen Schatten.
»Ihr seid also Andrej Delany?«
Andrej ließ die Hand wieder sinken und nickte knapp.
»Kennen wir uns?«
»Nicht persönlich. Aber ich habe mich über den Mann erkundigt, dem ich immerhin meine Kajüte abtreten darf, samt des Kommandos über mein Schiff.«
»Ich versichere Euch, dass ich weder das eine noch das andere –«, begann Andrej, und Fernandes fuhr fort, als hätte er gar nichts gesagt:
»Es heißt, Ihr hättet schon einmal das Kommando über ein Schiff gehabt?«
Über eine ganze Flotte, um genau zu sein. Und nicht nur einmal. »Es ist lange her.«
»Man sagt auch, dass Ihr Schiffe nicht mögt«, fuhr Fernandes fort.
Um genau zu sein, hasste er die Seefahrt, und das aus gutem Grund, aber diese Geschichte wollte er dem Spanier nicht auf die Nase binden. »Man muss eine Sache nicht lieben, um sie zu beherrschen«, antwortete er, eine Spur kühler.
Fernandes reagierte mit einem Stirnrunzeln und einem angestrengten Zusammenkneifen der Augen, um sein Gesicht besser erkennen zu können. Andrej beschloss, es ihm ein wenig leichter zu machen, indem er zum Tisch ging und die Öllampe entzündete, die darauf stand.
Mit dem Licht kehrten auch die Farben in den trüben Raum zurück, und er sah nun, dass Fernandes tatsächlich eine dunkelblaue Fantasieuniform trug, die ihm etwas von einem Flottenadmiral verlieh, samt einem Offizierssäbel an der Seite und einem goldbetressten Dreispitz, den er unter die linke Achsel geklemmt hatte. Außerdem stand er so steif da, als hätte er den Ladestock einer Muskete verschluckt-oder sich in eine andere Körperöffnung geschoben. Andrej überlegte, ob dieser Aufzug nun beeindruckend oder einfach nur albern war, beschloss dann aber, diese Entscheidung auf später zu verschieben.
»Mir ist die Situation genauso unangenehm wie Euch, Kapitän«, sagte er. »Ich habe weder darum gebeten, Euch Eure Unterkunft wegzunehmen, noch gar das Kommando über Euer Schiff.« Ganz im Gegenteil. Wie kam Sharif eigentlich auf diese Schnapsidee?
»Das glaube ich Euch sogar«, antwortete Fernandes. »Aber es ändert nicht viel, nicht wahr?«
»Nein«, antwortete Andrej. »Aber es ist nicht für lange. Vielleicht einen Tag oder zwei.« »Hat Euer Freund, der Hauptmann, Euch das gesagt?« Andrej sparte sich die Bemerkung, dass Sharif nicht sein Freund war. Er war sehr sicher, dass Fernandes das wusste. »Wir fahren den Nil hinauf«, antwortete er. »Soweit ein Schiff mit diesem Tiefgang es kann, heißt das. Sehr weit wird es nicht sein.«
»Ihr versteht tatsächlich etwas von Schiffen«, sagte Fernandes. »Vielleicht bis zur Höhe von Cairo, oder ein kleines Stück weiter. Aber wir haben Vorräte für mindestens vier Wochen an Bord genommen und genug Waffen, um ganz Afrika zu erobern.« »Und jetzt wollt Ihr von mir wissen, wozu?« Andrej hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Sagt mir die Wahrheit, Delany«, verlangte der Spanier. »Werden wir in Kämpfe geraten? Die Elisa ist kein Kriegsschiff, und meine Männer sind keine Soldaten.« »Ich glaube nicht«, antwortete Andrej ehrlich. »Hauptmann Sharif ist kein Seemann, aber er ist auch kein Dummkopf. Mit einem Schiff wie diesem in ein Gefecht zu fahren, wäre nicht besonders klug. Eher schon Selbstmord.« »Und Mord an meiner Mannschaft«, fügte Fernandes hinzu. Andrej hörte echtes Gefühl in seiner Stimme, ehrliche Sorge um die Männer, über die er zwar das Kommando hatte, für deren Leben er aber auch verantwortlich war. »Sagt mir, dass ich keinen Fehler gemacht habe.« »Wenn Ihr das wirklich fürchtet, warum habt Ihr diesen Auftrag dann überhaupt angenommen?«, fragte Andrej - obwohl er die Antwort natürlich kannte. Fernandes lächelte denn auch nur bitter. »Euer arabischer Freund kann sehr überzeugend sein«, sagte er. »Aber ich will auch nicht ungerecht sein: Er zahlt gut. Sehr gut sogar. Ich frage mich nur, ob wir lange genug leben, um diese Belohnung auch genießen zu können.« »Stellt sich diese Frage nicht jeder Seemann und jedes Mal aufs Neue, wenn er einen Hafen verlässt?« Hauptmann Sharif kam herein, schälte sich aus dem schweren Mantel und warf ihn zielsicher neben eines der beiden schmalen Betten, die auf der anderen Seite der Kajüte an der Wand verschraubt waren. »Oder wäre es Euch lieber gewesen, ich
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