Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
oder?«
»Weil es ja das letzte Mal schon so hervorragend geklappt hat«, stichelte Abu Dun.
»Wir wissen, wo das Hauptquartier des Machdi ist«, erwiderte Sharif, um einen ruhigen Ton bemüht.
»Süleymans Plan besteht darin, ein Heer nach Khartum zu schicken und es auszulöschen, aber ich bin der Meinung, dass wir schon genug Armeen in die Welt gesandt haben.« »Und du bist damit nicht einverstanden, Hauptmann?«, fragte Abu Dun. »Ich bin entsetzt. Was würde wohl dein Herr und Meister sagen, wenn er wüsste, wie wenig sein Lieblingshauptmann von seinen Plänen hält!« »Zieht besser keine voreiligen Schlüsse«, gab Sharif zurück. »Vielleicht ist das der einzige wirkliche Unterschied zwischen uns. Unsere Ziele mögen dieselben sein, aber der Sultan bevorzugt die Axt als Werkzeug und ich eher den Dolch. Aber das ändert nichts. Besprecht euch in aller Ruhe, und entscheidet dann, was ihr tun wollt. Ich kann mir vorstellen, dass ihr dem Wort des Sultans etwas kritischer gegenübersteht als noch gestern, aber ich gebe euch mein persönliches Ehrenwort, dass es eure Entscheidung ist und dass ich sie akzeptieren werde, wie immer sie auch ausfällt. Das spanische Schiff, mit dessen Kapitän ihr ja bereits gesprochen habt, liegt noch immer im Hafen. Wie der Zufall es will, gab es gewisse Probleme mit den Frachtpapieren. Aber solltet ihr euch entscheiden, an Bord zu gehen, dann wird es wohl binnen einer Stunde ablegen können.«
»Ein Hoch auf die Bürokratie«, sagte Abu Dun. »Und sie ist nicht das Einzige, das ihr sogenannten Abendländer von uns lernen könnt«, bestätigte Sharif. Doch die winzigen Lachfältchen in seinen Augenwinkeln verschwanden auch genauso schnell wieder, wie sie aufgetaucht waren, und er wurde wieder ernst. »Besprecht euch in Ruhe«, sagte er. »Ich komme später
am Tag noch einmal und hole mir eure Entscheidung ab.« Mit einem Mal schien er es sehr eilig zu haben. Die Tür fiel mit einem lauten Knall hinter ihm zu. Vergebens wartete Andrej auf das Geräusch des Riegels, doch er konnte hören, wie sich Sharif halblaut mit einem der Männer unterhielt, die draußen auf dem Gang Wache hielten. Abu Dun griff in den Beutel mit Kat, nahm zwei oder drei der wenigen verbliebenen Blätter heraus und begann genüsslich schmatzend zu kauen. »Schiff oder Wüste?«, fragte er.
Am Ende wurde es dann doch das Schiff, wenn auch aus einem anderen Grund und sehr viel später, als sie erwartet hatten.
Denn Sharif war an diesem Tag nicht mehr zu ihnen gekommen und auch nicht am nächsten. Abu Dun hatte es wohlweislich vermieden, Andrej noch einmal auf das mögliche Ziel ihrer Reise anzusprechen.
Es hätte auch nichts geändert. Sie beide spürten, dass nichts mehr so war wie zu dem Zeitpunkt, als sie Konstantinopel erreicht hatten. Andrej hatte mittlerweile keine Zweifel mehr daran, dass der Machdi ein Unsterblicher war. Und dass er sehr genau wusste, wer er und Abu Dun waren- und es in seine Pläne mit einbezog.
Und plötzlich drohten sie zu Opfern in einem Ränkespiel zu werden, das sie selbst nicht verstanden. Andrej spürte eine tiefe, kalte Wut in sich, wenn er daran dachte. Schlimmer noch aber war das Gefühl des Abscheus und des Widerwillens, das ihn überkam, wenn er sah, wie Abu Dun Kat in sich hineinstopfte.
Wie ein Süchtiger.
Immer wieder ballte er die Hände zu Fäusten, und mehr als einmal war er versucht, etwas Unüberlegtes zu tun. Allein seine Erfahrung hinderte ihn daran. Denn er wusste: Über Süleyman würden sie am schnellsten an den Machdi herankommen.
Erst eine Stunde vor Sonnenaufgang des dritten Tages wurden sie abgeholt, doch auch jetzt noch nicht von Sharif selbst, sondern von einem wortkargen Bediensteten, der sie ebenso freundlich wie entschieden zu einem wartenden Wagen geleitete, der sie aus dem Palast brachte. Es gab keine Eskorte, wenigstens keine, die diesen Namen verdient hätte, denn die vier Reiter, die den Wagen begleiteten, hätten Abu Dun und ihn nicht aufhalten können, hätten sie sich entschlossen zu fliehen. Während der beiden zurückliegenden Tage hatte man sie mehr wie Gäste als Gefangene behandelt, und auch von ihren Begleitern ging keine spürbare Feindseligkeit aus. Aber Sharifs Schweigen gefiel ihm nicht und der Umstand, ohne ein Wort der Erklärung an einen ihnen unbekannten Ort gebracht zu werden, noch viel weniger. Vielleicht wäre es tatsächlich die beste Lösung, auf jeden Fall aber die einfachste: so schnell und unbemerkt zu verschwinden,
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