Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
gibt.«
Er genehmigte sich noch ein fünftes und sechstes Blatt, steckte den Beutel wieder ein und stand dann mit einer so kraftvollen Bewegung auf, dass es nach seinem bejammernswerten Zustand zuvor schon fast erschreckend war. Vielleicht war das das Unheimlichste überhaupt, dachte Andrej: die Schnelligkeit, mit der das Kat wirkte. Noch vor wenigen Augenblicken hatte Abu Dun seine Gier nach dem Rauschmittel innerlich schier zerrissen, jetzt erfüllte es ihn mit einer Energie, die Andrej zur Vorsicht mahnte. Auch dieser Moment würde nicht allzu lange anhalten, wie er mittlerweile aus Erfahrung wusste, aber in diesem Zustand war Abu Dun vollkommen unberechenbar. Vielleicht sollte er ihn besser nicht mit an Deck nehmen.
Abu Dun nahm ihm die Entscheidung ab, indem er ihn kurzerhand aus dem Weg schob und seinen Turban vom Tisch klaubte, bevor er die Kajüte verließ. Beunruhigt beobachtete Andrej, wie er im Hinausgehen seinen Säbel aufhob und unter den Gürtel schob. Andrej war erstaunt, wie weit sich das Schiff dem östlichen Ufer genähert hatte, während er unten bei Abu Dun gewesen war. Zu Fernandes’ lautstark kundgetanem Unmut hatten sie Cairo schon vor einer Stunde passiert, ohne sich dem Hafen zu nähern. Obwohl der Wind zum ersten Mal seit Tagen wieder auf ihrer Seite war und das Schiff gute Fahrt hätte machen können, wurde die Elisa im Gegenteil immer langsamer. Die Mannschaft hatte die Segel gerefft, sodass die plumpe Galeone nur noch mit der Kraft ihrer Ruder gegen die Strömung ankämpfte. Und auch ihr Kurs kam Andrej … sonderbar vor. Er war kein Flussschiffer, aber selbst er wusste, dass der Nil zwar unbeschreiblich breit, aber nirgendwo wirklich tief war und für ein Boot dieser Größe eigentlich kaum schiffbar. Und wenn, dann gewiss nicht so nahe am Ufer. Der gewaltige Strom war an dieser Stelle so breit, dass das westliche Ufer nur noch als schmaler grüner Streifen zu erkennen war, das auf dieser Seite war hingegen so nahe, dass es auch ein ungeübter Schwimmer erreichen konnte, ohne sich über die Maßen anzustrengen. Eine Einschätzung, die Andrej allerdings gleich darauf revidierte, als er die geschuppten dunkelgrünen Kolosse sah, die versteckt zwischen dem Schilf am Ufer lagen und in der Nachmittagssonne dösten. Wer immer in dieses Wasser fiel, würde sich vermutlich ganzaußerordentlich anstrengen, um das Ufer möglichst rasch zu erreichen. »Ein Strich backbord. Und langsamer!« Der Befehl wurde auf Spanisch gegeben, und als Andrej den Kopf hob und gegen die schon niedrig stehende Sonne blinzelte, erkannte er Kapitän Fernandes, der hinter der Reling des Achterdecks stand und seine Worte mit einer ruppigen Handbewegung unterstrich, die dem Mann am Steuer hinter ihm galt, zugleich aber auch einem zweiten Matrosen, der neben einer geöffneten Klappe hinter dem Mast kniete und sie in eine Folge komplizierter Bewegungen übersetzte. Nur einen Moment später änderte sich der Takt der Ruder, ganz sacht nur, aber spürbar. Das ganze Schiff schien zu zittern, wie ein Wagen, der durch ein flaches Schlagloch rollt. Auf dem Deck hielten sich für Andrejs Geschmack entschieden zu viele Gestalten in schwarzen Mänteln auf, also eilten Abu Dun und er die kurze Treppe zum Achterkastell hinauf, wo sie von einem Fernandes empfangen wurden, der noch schlechter gelaunt war als sonst.
»Die Herren wollen ein wenig frische Luft schnappen?«, fragte er. »Nach dem, was mir Miguel über meine Kabine erzählt hat, kann ich das gut verstehen. Aber er meint auch, dass ich sie binnen zwei Wochen wieder beziehen kann … nachdem ihr von Bord gegangen seid natürlich, heißt das.«
»Eigentlich wollten wir fragen, ob wir uns irgendwo nützlich machen können«, antwortete Andrej schärfer, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Abu Dun verzog nur abfällig die Lippen, aber Andrej entging nicht das kurze Flackern in seinem Blick. Ganz gleich, wie unbeeindruckt sich Abu Dun nach außen hin gab, litt er doch insgeheim Höllenqualen angesichts des Umstandes, nicht von einem übermächtigen Gegner (am besten einem Drachen) besiegt, sondern von einem simplen Gift in die Knie gezwungen worden zu sein. Und auch wenn er es nicht zugeben würde, ahnte Andrej doch, wie peinlich ihm die damit verbundene Übelkeit und all ihre Begleiterscheinungen sein mussten. Fernandes setzte zu einer Antwort an, sah Andrej dann aber überrascht an, dem erst im Nachhinein aufging, dass der Kapitän in seiner Erregung nicht nur weiter
Weitere Kostenlose Bücher