Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
auf dem Absatz herum, ging zum Heck und schwenkte höchstpersönlich die mehr als armlange Karronade herum.
Andrej trat ein deutlich größeres Stück zur Seite, als notwendig gewesen wäre. Die bloße Nähe des Kanonenrohrs erfüllte ihn mit großem Unbehagen. Er hatte nur die halbe Wahrheit gesagt, als er Sharif gegenüber behauptet hatte, dass er Schusswaffen hasste. Tatsache war, dass er sie mindestens im gleichen Maße auch fürchtete, denn tief in sich war er davon überzeugt, dass es eine Feuerwaffe war, die seinem Leben eines Tages ein Ende bereiten würde. Aber vielleicht ja noch nicht heute. Die Kanone entlud sich mit einem gewaltigen Knall, der in Andrejs Ohren widerhallte, und einer armlangen Feuerzunge, und noch bevor sich das Achterdeck mit beißendem Qualm füllte, entlud sich auch die zweite Karronade am Bug. Beide Schüsse gingen fehl und stanzten nur harmlose Löcher in den Fluss. Dennoch war es für die näher kommenden Machdiji wohl so etwas wie ein Signal, denn nun fielen immer mehr Schüsse und in immer rascherer Folge. Neben der Elisa spritzte das Wasser auf, als hätte jemand eine Handvoll Kieselsteine über Bord geworfen. Fernandes und einer seiner Matrosen begannen bereits die Kanone nachzuladen, und Sharif machte erneut eine Geste zum Deck hinab. »Noch nicht! Wartet!« Etwas prallte mit einem Geräusch wie ein Fingernagelschnippen dicht neben seiner Hand von der Reling ab, und Andrej zog den Arm mit einiger Verspätung zurück, dafür aber umso hastiger. »Vielleicht solltet ihr irgendwo in Deckung gehen«, riet Sharif. »Ich brauche euch noch, beide, und ich möchte dem Sultan nicht erklären müssen, dass ihr von einer verirrten Kugel getroffen worden seid.«
Andrej bedachte ihn mit einem geradezu vernichtenden Blick (Abu Duns schadenfrohes Grienen machte es auch nicht unbedingt besser), trat aber trotzdem von der Reling zurück und ging zur anderen Seite des Achterdecks. Fast gelang es ihm sogar, sich einzureden, dass er es nur tat, um das diesseitige Ufer im Auge zu behalten.
Auch wenn es nicht im Mindesten seine Absicht gewesen war. Aber vielleicht hätte er es tun sollen.
Die Kamelreiter waren abgesessen, und auch die Zahl der vermeintlich Neugierigen war deutlich größer, als er bisher angenommen hatte. Nun stürmten nahezu alle diese Männer auf das Ufer zu, was Andrej angesichts der zahllosen hungrigen Krokodile, die nur darauf warteten, dass ihnen eine Mahlzeit vor die Mäuler lief, wie reiner Irrsinn vorkam. Doch schnell erkannte er seinen Irrtum.
Denn längst nicht alle der dunklen Schatten im Schilf waren Krokodile. Es waren Boote, die umgedreht und gut verborgen in den Uferpflanzen lagen und vermutlich schon vor Tagen hier deponiert worden waren. Diese Falle war nicht improvisiert, sondern von langer Hand geplant und vorbereitet worden, vielleicht schon bevor sie Konstantinopel verlassen hatten. Wenn das hier vorbei war, dann würde er ein längeres Gespräch mit Sharif führen müssen.
Vorausgesetzt natürlich, sie überlebten das hier Zum allerersten Mal kam Andrej der Gedanke, dass dieser Angriff vielleicht doch nicht so dilettantisch geplant war, wie Sharif behauptete – und vielleicht auch nicht so aussichtslos, wie Fernandes sich einzureden versuchte. »Sharif!«
Mit zwei schnellen Schritten war der Janitscharenhauptmann bei ihm, und es bedurfte auch keines weiteren Wortes der Erklärung. Er erschrak, wandte sich dann sofort wieder zum Deck um und machte eine befehlende Geste. Daraufhin verließ ein Gutteil seiner Leute ihre Posten an der Reling und eilte auf die andere Seite des Schiffes, und dreißig Schritte entfernt wurden die ersten Boote herumgedreht und ins Wasser geschoben. Vom Fluss her wehten noch immer vereinzelte Schüsse herüber, und etwas flog mit einem sonderbar zwitschernden Laut an seinem Gesicht vorbei. Andrej zwang sich, es zu ignorieren. »Und Feuer!« ‚ schrie Sharif.
Einhundert Musketen entluden sich in einer einzigen, krachenden Explosion aus Mündungsfeuer und Pulverdampf, die vom Heck bis zum Bug des Schiffes und wieder zurück zu laufen schien.
Die Wirkung war schlichtweg verheerend. Überall rings um die kleinen Boote spritzte das Wasser auf, doch die meisten Geschosse trafen ihr Ziel. Holzsplitter und Blut vermischten sich mit gischtendem Wasser und den Schreien der Getroffenen, und Männer stürzten über Bord oder prallten gegen ihre Kameraden, um sie mit sich von den Beinen zu reißen. Andrej schätzte, dass allein auf dieser
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