Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
ihnen?«, fragte Sharif ruhig. Der Lotse fuhr sich mit dem Handrücken über das Kinn, um das Blut wegzuwischen, das aus seinen aufgeplatzten Lippen lief. Sharifs Schlag war eindeutig mehr als nur eine Warnung gewesen. Dennoch las Andrej weder Schmerz noch Furcht in dem Mann, sondern etwas anderes und viel Erschreckenderes.
Abu Duns Atem ging schneller, und auch Andrej spürte, wie sich tief in ihm etwas zu regen begann, eine Gier, die ebenso unersättlich und grausam war wie die Abu Duns, aber noch unendlich älter und verheerender. Aber er gestattete ihr nicht, weiter zu erwachen und am Ende gar Macht über ihn zu erlangen. Manchmal – viel zu oft in seinem unendlichen Leben musste er es, sosehr er sich auch selbst dafür hasste – aber es war genau so, wie er gerade zu Abu Dun gesagt hatte: Jetzt war nicht der richtige Moment dafür. Abu Duns Atem ging angestrengt. Andrej zog sein Schwert. »Gehörst du zu ihnen?«, fragte er. Der Lotse maß ihn mit einem Blick, in dem sich Verachtung mit etwas mischte, das Andrej auf schreckliche Weise vertraut war. »Ich rede nicht mit einem Ungläubigen«, sagte er.
»Das ist löblich«, sagte Sharif. »Aber es bringt mich natürlich zu der Frage, woran du glaubst, mein Freund.« »An den einzigen wahren Gott, Allah, und seinen einzigen wahren Propheten«, antwortete der Mann. »Den Machdi!«
Und damit riss er einen Dolch aus dem Gürtel und stürzte sich auf Sharif.
Der Angriff war ebenso beeindruckend wie dumm und auch vollkommen aussichtslos. Sharif musste ihn erwartet haben, denn er trat zwar schnell, zugleich aber auch fast gelassen zur Seite, sodass der wütende Dolchhieb des Mannes nicht nur ins Leere ging, sondern er auch haltlos an ihm vorüberstolperte und ihm auf diese Weise Gelegenheit gab, ihm einen wuchtigen Tritt in die Kniekehle zu versetzen. Praktisch gleichzeitig stieß Andrej mit dem Saif zu, doch die Bewegung des Mannes war selbst für ihn zu überraschend gekommen, sodass er dessen Herz verfehlte und ihm nur eine harmlose Fleischwunde an der Seite zufügte. Auch Fernandes ließ es sich nicht nehmen, sein Fernrohr zu schwingen und ihm einen wuchtigen Schlag über den Schädel zu versetzen, und als wäre das alles noch nicht genug, wehte von Deck ein einzelner, peitschender Knall herauf, und in der Schulter des Machdiji erschien plötzlich ein rauchendes Loch, das sich augenblicklich mit dunkelrotem Blut füllte. Trotzdem fiel er nicht. Er wankte, das Gesicht blutüberströmt, der Kaftan rotgetränkt, die Augen glasig. Helleres Blut quoll über seine Lippen, doch er riss den Dolch in die Höhe und drang abermals auf Sharif ein. Ein zweiter Musketenschuss krachte und riss einen blutigen Fetzen aus seiner Seite, doch der gekrümmte Dolch des Machdiji beschrieb dennoch einen rasend schnellen Bogen aus flirrendem Silber und Tod, an dessen Ende sich Sharifs Kehle befand. Es war Abu Dun, der dem Janitscharenhauptmann das Leben rettete. Schnell wie ein Schatten in einem tobenden Gewitter sprang er vor, entwaffnete den Machdiji, indem er ihm kurzerhand den Arm brach und mit der anderen Hand in die Höhe riss. Kaum weniger schnell und mit der ganzen Kraft seines gewaltigen Körpers schmetterte er ihn auf das Deck, rammte ihm das Knie mit Knochen zersplitternder Wucht in den Leib und griff mit der anderen Hand nach seiner Kehle, als gäbe es da noch etwas an dem zerschlagenen Körper, was er zerstören könnte. Aber das war es auch nicht, was er wollte. Andrej begriff es gerade noch rechtzeitig, um loszustürmen und Abu Dun so heftig zu rammen, dass er von seinem sterbenden Opfer herunter kippte, und bevor er auf die Seite fiel, packte Andrej den Machdiji, riss ihn hoch über den Kopf und schleuderte ihn in hohem Bogen über Bord. Abu Dun war wieder auf den Beinen, noch bevor das helle Platschen zu ihnen heraufdrang, und für einen unendlich kurzen Moment las Andrej nichts als schiere, mörderische Wut in seinen Augen, ein Lodern aus blankem Hass und Gier, das Ungeheuer in Abu Dun, das erwacht war und nach Blut schrie, nach einem Leben, das es seinem Besitzer entreißen und verschlingen konnte, und sei es das seine. Und als wäre das allein nicht schon schlimm genug, regte sich nun auch tief in Andrej etwas, wild und mächtig, wie eine lautlos trotzige Herausforderung an den Vampyr in Abu Dun, den finalen Kampf der Götter zu beginnen. Aber jetzt war nicht der Moment. Nicht. Jetzt. Abu Dun machte einen tapsenden Schritt auf ihn zu, und das Feuer in seinen Augen
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