Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
auf. Rückwärts gehend verließ sie den Schuppen, reichte Idrella die Fackel zum Halten, machte die Tür zu und verschloß sie.
»Es tut mir leid, Hofmeisterin«, sagte Idrella.
»Du kannst nicht überall zugleich sein«, gab Paxe zurück. »Gib mir die Fackel mal für einen Augenblick!« Sie trug sie zum Gartenschuppen, in dem Toli sein Werkzeug aufbewahrte, fand ein Brett und einen Hammer und ein paar lange Eisennägel und brachte sie zurück. Sie nagelte das Brett über das zertrümmerte Fenster. »Wir werden den Glaser rufen und ein neues Fenster einsetzen lassen müssen«, sagte sie.
In der Küche zuckte zitternd ein Licht auf, und Toli rief: »Wer da?«
»Ich bin's«, sagte Paxe. »Schon gut.« Sie schritt den Zaun des Waffenhofes ab, für den Fall, daß der Dieb nicht hinausgelangt war und sich irgendwo versteckte, doch der große, stille Platz war leer.
Sie überlegte sich, wer der Dieb sein könnte. Das braucht Nerven, dieses Fenster einzuschlagen, dachte sie. Es hätte jeder sein können, der den Wagen mit den Schwertern vom Stadttor hat herankommen und sich ausdenken konnte, was auf ihm geladen war ... Aber die Sache beunruhigte sie, und nicht nur, weil nun eine scharfe Waffe irgendwo in der Stadt herumlag, in ihrem Bezirk. Das Risiko für den Dieb erschien ihr als zu hoch für ein Ding, das man nicht offen benutzen konnte, das man vor der eigenen Familie und den Nachbarn verstecken mußte.
Am folgenden Abend begab sich Paxe zur Abendmahlzeit ins Haus, um Arré von dem Diebstahl zu berichten.
Man hatte früh gespeist. Paxe ging ins Obergeschoß und fand dort Arré auf ihrem Bett sitzend vor. Sie war gerade nach dem Bade, und ihr kurzes Haar war in festen Löckchen zusammengeklebt; sie waren fast so fest wie die von Paxe selbst. Arré nippte an einem Tee. »Ich habe mich in eine Teesäuferin verwandelt«, sagte sie und bedeutete Sorren, eine zweite Tasse zu holen.
Paxe beobachtete das große Mädchen, wie es aus dem Zimmer ging. Irgend etwas schien sie zu beunruhigen, und Paxe fragte sich, was es sein mochte. Arré hustete diskret, und so wandte sie sich dem anliegenden Problem zu. »Ich habe die Schwertübungen abgebrochen, wie du befohlen hast«, sagte sie.
»Gut.«
Aber ich vermisse sie, dachte die Hofmeisterin. Doch sprach sie es nicht aus. »Die Ismeninas haben das auch getan.«
»Das will ich aber auch hoffen!« Arré lehnte sich in die Kissen zurück. »Ron Ismenin wird vielleicht seine Schwerter einschmelzen müssen und das Metall verkaufen, um die Buße zu entrichten, mit der ihn der Rat belegt hat.«
Sorren trat mit einer grünen Tasse in der Hand wieder ins Zimmer. Sie reichte sie Paxe, die »ich danke dir« sagte.
»Soll ich sonst noch was bringen?« fragte das Mädchen Arré.
»Nein. Das ist alles. Laß uns allein!« Sorren ging hinaus. Arré drehte die Tasse zwischen den Handflächen. »Letzte Woche war der L'hel hier im Haus«, sagte sie.
Paxe sagte: »Ich weiß. Die Torwache hat es mir gesagt.«
»Er hat mich gefragt, ob ich mich mit ihm verbünden möchte, um das Land zu einen, es zu einer Einheit unter einer einzigen Oberherrschaft zu machen.«
»Was hast du ihm gesagt?« fragte Paxe.
»Ich habe nein gesagt. Das Land Arun mag sich vereinen oder nicht, ich weiß es nicht. Meine Sorge ist diese Stadt. Ich könnte mir vielleicht sogar die Einigung wünschen. Doch der L'hel will das alles jetzt haben und tun, zu seinen Lebzeiten, und er will der Oberherrscher sein. Ich habe ihm gesagt, daß ich mit ihm nicht zusammenarbeite.«
Paxe nickte. Der Gedanke an den L'hel – an das, was er war und was er zu tun vermochte – erregte ihr Übelkeit und Zorn. Aber sie wollte nicht darüber sprechen.
»Hast du Nachricht von deinem Sohn?« fragte Arré.
»Nichts mehr, seit ich ihm die Stiefel geschickt habe. Die Schreiberin ist jetzt wahrscheinlich sehr beschäftigt mit dem Abfassen der Festtagsgrüße für all die Leute auf den Feldern. Aber ich mach mir keine Sorgen.« Das stimmte zwar nicht, sie machte sich Sorgen, aber nur ein wenig. Sie würde sich immer Sorgen machen um diesen Sohn. Paxe setzte die Tasse ab. »Arré, in der letzten Nacht ist etwas geschehen, worüber du Bescheid wissen mußt.« Und sie legte die Hände flach auf die Oberschenkel und berichtete von dem Einbruchdiebstahl.
Arré zog ein finsteres Gesicht. »Trink deinen Tee!« befahl sie. Paxe hob die Tasse vom Tisch und trank die bittere Flüssigkeit. Im Grunde mochte sie Tee gar nicht gern, außer wenn man
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