Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
war unerträglich.
Kai kroch zu dem Bergkristall und nahm ihn auf. Er schleppte sich zur Turmtreppe und stolperte mühsam nach oben. Hinter ihm gellten die Todesschreie des Hexers, die zunehmend leiser wurden.
Kai hatte keine Ahnung, wie lange sein Kampf mit Finsterkrähe gedauert hatte. Als er den Außengang des Leuchtturms erreichte und kalte Nachtluft über seine Wangen strich, wurde er Zeuge von Eisenhands letztem Kampf. Der Pirat wand sich brüllend am Boden.
Über ihn gebeugt stand Dystariel. Die Gargyle schnaubte erschöpft und blutete aus zahlreichen tiefen Wunden. Hoch erhoben hielt sie Sonnenfeuer, dessen Klinge sie mit einem mächtigen Stoß in den Brustkorb des Piraten rammte. Die Bewegungen Eisenhands erstarben und er zerfiel knirschend zu Staub.
Schräg hinter den beiden lag Fi. Die Elfe lehnte noch immer dort an der Brüstung, wo er sie zurückgelassen hatte. Es schien, als ob sie schliefe. Ihr Körper aber wurde zur Gänze von wundersamem Mondlicht umhüllt, dessen Quelle nur ihr Amulett sein konnte. Da ließ ihn ein lauter, vielstimmiger Kampfschrei herumfahren. Am Nachthimmel über der See entdeckte Kai eine ganze Heerschar von Gargylen, die mit wuchtigen Schwingenschlägen auf die Elbmündung zuhielten.
Angeführt wurden sie von einem gewaltigen Krieger, der allen voran durch die Nacht jagte.
»Kruul!«, röhrte Dystariel und hob müde Sonnenfeuer an. »Ich muss mich ihm stellen und es zu Ende bringen!«
»Nein!«, keuchte Kai. »Du wirst dich in irgendeinen Schatten flüchten. Denn jetzt werde ich diesem Spuk ein Ende bereiten.« Er zeigte ihr Berchtis' Kristall. »Hau ab!« Die Gargyle bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. Dann nickte sie langsam und schleppte sich zur Brüstung, wo sie ihre Schwingen ausbreitete und in die Tiefe kippte.
Kai atmete noch einmal tief ein, hielt den Kristall in die Höhe und richtete etwas von seinen magischen Energien auf ihn.
Es geschah - nichts.
Er verstärkte den Machtstrom. Der Kristall blieb stumpf.
Fassungslos starrte Kai den Stein in seinen Händen an. Das durfte nicht sein. Nicht nach allem, was er durchgemacht hatte. Von unten drangen die Schreie der Kämpfenden an seine Ohren.
»Was soll ich tun?«, brüllte er verzweifelt in die Nacht. »Berchtis, bitte. Hilf uns!« Auf dem Stein spiegelte sich ein Frauengesicht. Es war jung und schön, doch in seinen Augen leuchtete die Weisheit von Jahrtausenden. Es war nur kurz zu sehen. So wie Sternenlicht, das sich für einen Moment auf der Oberfläche eines Sees bricht. Der Wind trug eine Flüsterstimme herbei.
»Akzeptiere das Schicksal, Kind des unendlichen Lichts.«
Kai riss die Augen auf. War das wirklich Berchtis, die zu ihm gesprochen hatte ? Doch die Erscheinung war bereits wieder verschwunden.
Was meinte sie damit? Die Feenkönigin war auch nicht viel besser als Eulertin. »Verdammt noch einmal«, brüllte Kai aufgebracht. »Könnt ihr euch nicht einmal deutlich ausdrücken?«
Das Schicksal. Welches Schicksal? Das sie hier und heute alle zum Sterben verurteilt waren? Nein, das konnte nicht gemeint sein.
Und mit einem Mal war ihm klar, was Königin Berchtis gemeint hatte. Er war die letzte Flamme, die die Macht des unendlichen Lichts in sich trug. Das war sein Schicksal. Es machte einen Unterschied, ob ihn jeder für die letzte Flamme hielt oder ob er dieses Schicksal auch selbst akzeptierte. Die Wahrheit war, dass er Angst davor hatte. Die letzte Flamme würde unterliegen. Was würde dann mit ihm geschehen ? Gequält sah er hinüber zu Fi und sein Atem wurde ruhiger.
Er war nicht allein. Gab es wirklich keine Hoffnung?
Kai beschloss in diesem Moment, alles zu geben, es herauszufinden.
Der Bergkristall in seiner Hand begann plötzlich zu schimmern.
Es war ein angenehmes Licht.
Friedlich, ruhig und silbern mit einem Stich ins Goldene.
Obwohl das Leuchten des Steins nur ganz sanft war, breitete sich sein Lichtschein ringförmig in Wellen aus. Zuerst erfasste er den Leuchtturm, dann reichte er weit über den Fluss, die See und die Ebenen hinweg.
Kai stellte sich verblüfft an die Brüstung und hielt den leuchtenden Kristall in den hoch erhobenen Händen. Betäubt sah er mit an, wie die Gargylen am Himmel ins Taumeln gerieten und vor dem Licht Reißaus nahmen. Und er sah auch mit an, wie unter ihm die halb vermoderte Seeschlange zusammenfiel. Ebenso wie die Heerschar der untoten Nordmänner, von denen schon bald nur noch lange Staubfahnen übrig waren, die der Wind mit sich
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