Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
irgendwie erträglicher vor.« Jaryd sah sie überrascht an. »Wie das?«
»Es war sicher schwer für ihn, seinen Vertrauten zu verlieren«, erwiderte sie. »Aber indem er sich einer zweiten Bindung verweigerte und sich zu einem Unbehausten machte, hat er dafür gesorgt, dass er und Kalba ewig zusammenbleiben würden.« Sie zögerte. »Sicher, es liegt viel Traurigkeit darin; er hat einen ungeheuren Preis gezahlt. Aber am Ende wurde ihm vielleicht sein größer Wunsch erfüllt.« Niall sah die junge Frau lange Zeit an. »Ich habe diese Geschichte schon als Kind gehört«, sagte er schließlich zu ihr, »und ich habe sie im Lauf meines Lebens vielen anderen erzählt. Aber ich habe nie zuvor gehört, dass jemand sie so interpretiert hätte.« Er lächelte sie an. »Ich glaube, du könntest Recht haben. Ich danke dir.«
Alayna errötete ein wenig. »Wofür?«
»Dafür, dass du einem alten Mann gezeigt hast, dass es selbst für den ältesten Kummer noch Trost geben kann.« Alayna erwiderte nichts, aber sie ging einen Schritt vorwärts, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Niall einen Kuss auf die Wange. »Danke, dass du uns Phelans Geschichte erzählt hast.«
Diesmal war es an Niall zu erröten, und Baden, der sah, wie verlegen der Eulenmeister war, wechselte rasch das Thema. »Wir sollten uns auf den Rückweg machen«, sagte er. »Die Sonne wird bald untergehen, und ich würde gerne etwas essen, bevor wir Phelan treffen.«
Die anderen nickten zustimmend, und die vier Magier kehrten an der Algenlinie entlang zurück, die Eulenmeister vorneweg und Jaryd und Alayna ein paar Schritte hinter ihnen.
Für einige Zeit konnte Jaryd nur an die Geschichte denken, die er gerade von Niall gehört hatte. Er war sich Ishallas Krallen auf seiner Schulter und ihrer Anwesenheit in seinem Geist sehr bewusst. Er hatte sich gerade erst an den Falken gebunden - wenn Arick wollte, würde er noch viele Jahre lang nicht erfahren, was es bedeutete, Ishalla zu verlieren, und auch nicht die Angst davor erleben müssen, ungebunden zu sterben. Aber die Geschichte von Phelan und Kalba hatte bewirkt, dass er sich verwundbarer fühlte, und ihm war auf einmal sehr klar, wie schnell alles Leben ein Ende finden konnte, nicht nur sein eigenes und das von Ishalla, sondern auch das der anderen. Wie groß die Macht auch sein mochte, die die Magie ihnen verlieh, sie konnte sie nicht vor ihrer eigenen Sterblichkeit schützen. Das war etwas, worüber man nachdenken sollte, besonders jetzt. Immerhin waren sie zu Phelans Dorn gekommen, um die Fremden zu finden und zu besiegen, vielleicht in direktem Kampf. Und in diesem Augenblick traf ihn eine schreckliche Vorahnung. Jemand wird umkommen, dachte er. Dann wurde er sich plötzlich wieder Alaynas bewusst, die wortlos neben ihm über den Sand ging. Ihr langes dunkles Haar wehte im Wind, der vom Meer her kam. Jaryd erinnerte sich, dass bereits jemand umgekommen war. Sartol war erst an diesem Morgen gestorben. Dann schlugen seine Gedanken einen anderen Weg ein. Wir haben ihn umgebracht, wir alle, auch Alayna. Er versuchte sich vorzustellen, was sie empfunden haben musste, wie die Ereignisse des Tages sie berührt hatten. Aber es fiel ihm schwer, über seine eigenen Gefühle der Erleichterung und befriedigten Rachegelüste hinauszugehen. Tatsächlich hätte er nie geglaubt, einem anderen gegenüber einmal so empfinden zu können, aber er war froh, dass Sartol tot war. Dennoch, er hielt dieses Gefühl auch für einen Verrat an Alayna und an der Liebe, die sie füreinander empfanden. Er sah sie an, suchte nach etwas - irgendetwas -, das er sagen konnte, um ihren Schmerz zu lindern, ohne dass er dabei hätte heucheln müssen. Und wie es in den vergangenen Wochen so oft geschehen war, stellte er fest, dass sie ihn bereits beobachtete und seine Stimmung und Gedanken vorwegnahm. »Schon gut«, sagte sie und griff nach seiner Hand. »Es geht mir gut.«
Er starrte sie weiter an. »Es wäre nicht schlimm, wenn es anders wäre. Niemand würde es dir übel nehmen, wenn du dich verwirrt und gekränkt und traurig fühlen würdest. Ich am allerwenigsten.«
Sie lächelte über diese Worte, auch wenn es ein bekümmertes Lächeln war. »Ich weiß. Aber das geht jetzt nicht. Ich versuche, mir nicht die Schuld daran zu geben, dass Sartol mich betrügen konnte, aber ich werde mir nicht verzeihen, wenn ich nicht alles tun kann, was in meiner Macht steht, um den Schaden zu begrenzen, den er angerichtet hat. Nachdem wir uns um
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