Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
sollen Tobynesisch sprechen«, mahnte Kedar und hatte dabei selbst noch ein wenig mit der fremden Sprache zu kämpfen. »Jemand könnte uns hören, sagt er. Also solltest du lieber nicht in Bragori fluchen.« »Tobynesische Flüche bewirken aber nicht, dass ich mich besser fühle«, erwiderte Glyn gereizt und immer noch in seiner Muttersprache. »Sie sind langweilig. Und außerdem«, fuhr er fort und zeigte mit beiden Händen auf seine Umgebung, »sind wir hier am Fluss, und es ist meilenweit niemand zu sehen. Wer sollte mich also hören?« Kedar zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht«, erwiderte er in der Sprache von Tobyn-Ser. »Sartol sagte, die Zauberer könnten uns sehen. Vielleicht können sie uns auch hören.«
»Die Zauberer machen mir keine Angst«, brummte Glyn auf Tobynesisch. Er starrte seine Füße an und fluchte abermals. »Sieh dir meine Ferse an, Kedar. Die besteht praktisch nur noch aus Fetzen!«
»Ich will deine stinkenden Füße nicht sehen! Meine tun weh genug, ohne dass ich auch noch daran erinnert werden muss. Und jetzt zieh die Schuhe wieder an. Wir gehen!« Glyn schüttelte den Kopf und hinkte näher zum Wasser hin. »Nicht, ehe ich meine Füße ins Wasser gesteckt habe. Du solltest das auch tun.«
»Ich will aber nicht«, sagte Kedar verärgert. »Ich will weiterkommen. Wir sollten schon gestern Abend am Ziel gewesen sein. Bald wird die Sonne untergehen, und wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Das denke ich jedenfalls«, fügte er hinzu und sah sich um. »Es ist hier schwieriger als zu Hause, Entfernungen abzuschätzen. Es gibt so viel Gras und nicht genug Gebäude. Es könnte sogar noch weiter sein, als ich dachte.«
»Schon gut, ich bin ja gleich fertig.« Glyn setzte sich und steckte die Füße ins kalte Wasser. Er zuckte zusammen, als seine Wunden zu brennen begannen.
»Sofort, Glyn!«, zischte Kedar.
Glyn warf seinem kräftigen blonden Kumpan einen Blick zu. Kedar sah in dem grünen Kapuzenumhang ein wenig seltsam aus. Er war ein Mörder - Glyn hatte schon gesehen, wie er einem Mann bei einem Kampf den Arm abgerissen hatte -, aber nun sah er aus wie ein Orakel mit einem großen Vogel. Glyn hätte beinahe laut gelacht. Er versuchte sich vorzustellen, wie er selbst in dem gleichen Aufzug aussah, mit seinem kurz geschnittenen Bart und der krummen Nase, die zufällig bei demselben Kampf von einem Mann verursacht worden war, der nun tot war. Er sah vermutlich auch recht albern aus. Aber nicht so schlimm wie Kedar. Es war vollkommen unmöglich, dass er so schlimm aussah wie Kedar.
»Komm schon. Glyn!«, bellte Kedar. »Calbyr denkt, dass wir die Sache längst hinter uns gebracht haben. Möchtest du ihm etwa erklären, wieso etwas nicht nach Plan gelaufen ist?«
»Ich habe keine Angst vor Calbyr«, sagte Glyn. Aber dann stand er auf und kehrte mit vorsichtigen Schritten zu seinen Schuhen zurück.
Kedar legte den großen Kopf zurück und lachte, wobei er die kleinen Äuglein zukniff, bis sie nur noch Schlitze waren. »Nein, sicherlich hast du keine Angst vor Calbyr - und es gibt auch keine Nal-Ratten in den Abflusskanälen.«
Glyn warf seinem Freund einen wütenden Blick zu und schwieg.
»Komm schon, stell dich nicht an, Glyn«, sagte Kedar barsch. »Ich habe das nicht böse gemeint. Wir haben alle Angst vor ihm. Ich jedenfalls, und ich bin doppelt so groß wie er.«
Glyn schwieg, aber dann nickte er und lächelte halbherzig. Kedar hatte Recht: Alle hatten Angst vor Calbyr, sogar zu Hause in Lon-Ser. Und um ehrlich zu sein, fürchteten alle, die mit Calbyr nach Tobyn-Ser gekommen waren, auch den Zauberer Sartol, vor allem nach dem, was er an dem Tag, als sie ihm begegnet waren, mit Yarit gemacht hatte. Glyn erschauderte unwillkürlich, als er daran dachte, und konzentrierte sich darauf, die Schuhe wieder anzuziehen, ohne seine wunden Füße noch mehr zu reizen. Er bezweifelte, dass sie es an diesem Tag noch bis zur nächsten Siedlung schaffen würden. Wie hieß die noch? Wasserstadt? Nein, das klang irgendwie nicht richtig.
»He, Kedar - wie heißt der Ort, zu dem wir unterwegs sind, noch mal?«
Kedar verdrehte die Augen. »Das hab ich dir doch schon zweimal gesagt: Wasserbogen.«
»Wasserbogen«, wiederholte Glyn. »Na gut.« Er schaute den großen, kräftigen Mann abermals an. »Und du brauchst überhaupt nicht so muffig zu sein. Diese Namen begreife ich nicht. Wasserbogen, Kaera, Waldesruh, Moriandral. Ich kann sie mir einfach nicht merken.«
Kedar schüttelte den Kopf.
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