Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
Nur das zertrampelte Gras und ein paar Hufabdrücke ließen noch darauf schließen, dass sie jemals hier gewesen waren.
Es war schon recht spät am Morgen, als Jaryd plötzlich aufschreckte, und sofort tastete er im Geist nach Ishalla. Der Falke saß ruhig, aber wachsam neben Fylimar auf einem niedrigen Ast nur ein paar Fuß entfernt. Jaryd war erleichtert, Ishalla im Geist zu spüren. Der Himmel hatte sich aufgehellt, und Sonnenlicht fiel durch das Blätterdach und die knorrigen, verschlungenen Äste des Hains. Als Jaryd sich umdrehte, sah er Alayna neben sich liegen, die ihn lächelnd beobachtete. Ihr langes, dunkles Haar, zerzaust und immer noch ein wenig feucht vom Regen, fiel ihr über die Schultern, und ihre dunklen Augen, die das satte Braun der Erde hatten, aber mit kleinen grünen Flecken darin, blitzten im Tageslicht.
»Guten Morgen«, sagte sie leise.
Er stützte sich auf einen Ellbogen. »Guten Morgen.« »Wusstest du, dass du im Schlaf redest?«, fragte sie.
Jaryd spürte, wie er rot wurde, und Alayna lachte.
»Das wusste ich tatsächlich schon«, gab er zu.
Sie zog fragend die Brauen hoch.
»Mein Bruder hat es mir gesagt«, erklärte er. »Wir haben zu Hause ein Zimmer geteilt.« Er zögerte. »Warum? Was habe ich gesagt?«
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte sie ihn. »Ich konnte kein Wort verstehen. Du hast auch nicht wirklich gesprochen, sondern nur leise vor dich hin gemurmelt, etwa so.« Sie gab ein entsprechendes Geräusch von sich. Jaryd stöhnte verlegen, und sie lachte abermals.
»Und wie lange wird es nun dauern, bis der gesamte Orden davon erfährt?«
Sie schaute ihn gekränkt an. »Das ist ungerecht«, sagte sie. »Ich würde es niemals dem ganzen Orden erzählen.« Sie hielt inne und versuchte vergeblich, sich ein Grinsen zu verkneifen. »Ich würde es einfach Baden und Trahn sagen und ihnen dann den Rest überlassen.«
Jaryd lachte. »Damit könntest du dir tatsächlich viel Arbeit ersparen.«
Sie sahen einander an, und ihr Lachen erstarb. Jaryd beugte sich vor und küsste Alayna sanft auf den Mund. Wieder erhellte ein zärtliches Lächeln ihre Züge. »Und wofür war das?«
Jaryd zuckte die Achseln. »Weil du im Stande warst zu lachen und mich zum Lachen zu bringen, auch wenn wir überall von Gefahren umgeben sind.«
»Ah. Das hab ich von meiner Großmutter gelernt«, sagte sie, hob ein Blatt vom Boden auf und spielte zerstreut damit herum. »Sie hat immer gesagt, solange man seinen Humor bewahrt, kommt man mit allem zurecht.«
»Klingt nach einem guten Rat«, sagte Jaryd leise. Alayna nickte. »Es ist auch einer«, erwiderte sie. »Es hat ihr immerhin beinahe neunzig gute Jahre beschert.« Sie richtete sich auf. »Selbstverständlich«, fuhr sie ein wenig ernster fort, »hatte Oma es auch nie mit unbehausten Geistern und abtrünnigen Magiern zu tun.«
»Schön für sie«, bemerkte Jaryd und kam ein bisschen unbeholfen auf die Beine. Alayna streckte die Hand aus, und er zog sie ebenfalls hoch. Dann wandte er sich den beiden Vögeln zu und rief Ishalla mit einem Gedanken zu sich. Sofort segelte der graue Falke zu seinem ausgestreckten Arm.
»Kannst du sie voneinander unterscheiden?«, fragte Alayna, nachdem Fylimar mit der gleichen Anmut auf ihrer Schulter gelandet war.
»Ja. Ishalla ist ein wenig kleiner, und ihr Rücken und die Flügel sind ein winziges bisschen dunkler. Aber«, fügte er hinzu, »ich muss sehr genau hinsehen. Und du?« »Manchmal kann ich kleine Unterschiede zwischen ihren Gesichtern entdecken«, erwiderte sie, »aber dafür muss ich ebenfalls ziemlich genau hinsehen.«
Jaryd betrachtete Ishallas Kopf mit seiner dunklen Kappe, den hellen Streifen über den Augen, die wie Brauen aussahen, und den durchdringenden roten Augen. Dann schaute er Fylimar an. Die Unterschiede, die Alayna dort offenbar wahrnehmen konnte, waren zu subtil, als dass sie ihm aufgefallen wären. »Da muss ich mich wohl auf dein Wort verlassen«, sagte er schließlich.
Jaryds Magen gab plötzlich ein lautes Gurgeln von sich. Der junge Magier spürte, wie er rot wurde.
»Hunger?«, fragte Alayna kichernd.
»Wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, falle ich um.«
Alayna nickte. »Ich auch.«
Sie schloss einen Augenblick die Augen, und beinahe sofort flatterte Fylimar von ihrem Arm auf und machte sich auf die Suche nach etwas Essbarem. Jaryd übermittelte Ishalla einen ähnlichen Gedanken, und sein Falke folgte dem anderen Vogel. Während die Falken jagten, sammelten die
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