Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn
wenig rohes Lammfleisch für deinen Vogel auftreiben.«
Cailin kämpfte gegen weitere Tränen an. »Nein, danke. Wir essen später.«
Wieder nickte der Mann, und nach einem kurzen, verlegenen Schweigen kehrte er hinter die Theke zurück.
Cailin ging ins helle Tageslicht hinaus, und sie streichelte die goldbraunen Federn im Nacken des Adlers. Rithel blickte zum Himmel auf und stieß einen leisen Ruf aus.
»Ich weiß«, sagte Cailin und spürte einen bohrenden Schmerz in der Brust. »Leb wohl, meine Liebe. Arick behüte dich.«
Der Adler schrie ein zweites Mal, bevor er vom Arm der Magierin aufs Kopfsteinpflaster hüpfte. Dann sprang er hoch in die Luft, schlug mit seinen riesigen Flügeln und erhob sich ins klare Blau. Er begann, höher und höher zu kreisen, rief dabei aber noch mehrmals nach Cailin. Schließlich war der Vogel nur noch ein kleiner Fleck am Himmel, und dann sah Cailin, dass sich offenbar ein zweiter Vogel zu ihm gesellte, der kurz mit ihm kreiste. Dann zog Rithel mit einem letzten Ruf die Flügel an, ebenso wie der andere Vogel, und beide schwebten außer Sichtweite. Cailin wischte sich die Tränen ab und wollte sich auf den Weg zum Falkenfinderwald machen. Kurze Zeit später jedoch fand sie sich vor der Großen Halle wieder. Sie zögerte nur einen Augenblick, dann ging sie die Treppe hinauf in das Kuppelgebäude. Wie erwartet, fand sie dort Jaryd und Alayna inmitten des Versammlungssaals, wo sie die Trümmer begutachteten. Man hatte die Leichen inzwischen weggebracht, aber die Fragmente des Rufsteins waren geblieben, ebenso wie der geborstene Sockel und die Überreste dessen, was einmal der Ratstisch gewesen war. »Guten Morgen«, sagte Cailin und ihre Stimme hallte laut von der Decke wider.
Beide drehten sich um. Alaynas Eule saß auf ihrer Schulter, aber Jaryds Adler war nirgendwo zu sehen.
»Ist dein Vogel auch weg?«, fragte Cailin.
Er nickte. »Sie hat mich heute früh verlassen.«
»Rithel auch. Es fühlt sich seltsam an, nicht wahr?«
»Ja und nein. Ich war lange Zeit ungebunden, bevor Rithlar zu mir kam. Also ist mir dieses Gefühl in gewisser Weise nur zu vertraut.«
Ihre Tochter kam aus einem der Zimmer, eine kleine Puppe in der Hand. »Mama! Sieh mal, was ich gefunden habe.« Als sie Cailin sah, blieb sie stehen und lächelte. »Hallo, Adlermeisterin.« Ihr Lächeln verschwand allerdings rasch und wich einem fragenden Stirnrunzeln. »Wo ist dein Umhang?«
Cailin sah Jaryd und Alayna an und lächelte schüchtern. »Ich werde ihn nicht mehr tragen«, sagte sie.
»Wirst du dich dem Orden anschließen?«
»Myn!«, sagte Alayna rasch.
Aber Cailin schüttelte den Kopf. »Schon gut. Nein«, sagte sie zu Myn. »Aber ich werde auch nicht mehr in der Liga bleiben.«
»Oh«, sagte das Mädchen mit einem weisen Nicken. »Du bist jetzt eine freie Magierin.«
Alle drei Magier lachten.
»Ja«, sagte Cailin. »Das bin ich wohl.«
»Bist du sicher, dass es die richtige Entscheidung war?«, fragte Jaryd.
»Nicht vollkommen. Aber ich kann mich auch nicht erinnern, wann ich mir das letzte Mal irgendeiner Sache vollkommen sicher war.« Sie lachte, aber selbst ihr kam dieses Lachen gezwungen vor.
Jaryd und Alayna lächelten mitleidig, und Cailin wandte verlegen den Blick ab.
»Ich bin nicht sicher, ob es überhaupt noch wichtig ist«, sagte sie und begann, langsam durch den Saal zu gehen. Jaryd wurde bleich. »Wie meinst du das?«
»Ich frage mich nur, ob dies nicht das Ende der Magie darstellt. Der Rufstein ist verloren, die Unbehausten haben Ruhe gefunden. Was, wenn jetzt alles zu Ende ist? Theron und Amarid sind beide von uns gegangen. Vielleicht bedeutet das auch das Verschwinden ihrer Magie.« Der Adlerweise und Alayna wechselten einen Blick. »Ich habe auch schon daran gedacht«, gab er zu. »Es kann gut sein, dass Rithlar meine letzte Bindung war.«
»Ich glaube das nicht«, sagte Alayna. »Die Magie verändert sich vielleicht - es kann sein, dass wir nicht mehr die Rolle spielen werden wie früher -, aber ich denke nicht, dass die Götter schon mit uns fertig sind.«
Cailin zuckte die Achseln und blieb vor der Stelle stehen, wo der Rufstein einmal gestanden hatte. »Ich hoffe, du hast Recht.«
Eine Zeit lang schob sie Splitter des großen Kristalls mit dem Fuß hin und her. Dann blickte sie auf und zwang sich zu einem Lächeln. »Mir fällt gerade erst auf, dass ihr wahrscheinlich zu tun habt. Ich wollte mich nicht aufdrängen. Ich kam nur an der Halle vorbei und ich
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