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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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breiten Lächeln empfangen. Sie lächelte mich immer noch an. Aber nicht automatisch.
    Janice sagte: »Hast du deine Cartoons gesehen, Liebes?«
    »Nein.« Kaits Augen ließen nicht von mir ab. »Mr. Levy wollte unbedingt die Nachrichten sehen.«
    Ich kam nicht auf den Gedanken zu fragen, warum Mr. Levy das gewollt hatte.
    Hätte ich gefragt, hätte ich den Nachmittag womöglich nicht mit Kait verbracht.
    »Viel Spaß mit Daddy«, sagte Janice. »Musst du nicht noch zur Toilette vorher?«
    Kaitlin war entrüstet über diese Taktlosigkeit. »Nein!«
    »Na gut.« Janice straffte sich und sah mich an. »Acht Uhr, Scott?«
    »Acht«, versprach ich.
     
    Wir schnurrten in meinem Gebrauchtwagen dahin, von Annäherungsprotokollen sorgfältig in den starken Samstagsverkehr gefädelt. Ich hatte Kaitlin den Ausflug zu einer Vergnügungsmall versprochen, und sie durchklomm bereits die Höhen der Begeisterung und die Tiefen der Erschöpfung und ließ sich jedes Mal, wenn sie ausgeplappert hatte, mit einer verzweifelten Sind-wir-endlich-da?- Miene ins Polster sinken.
    Immer wenn sie still war, prüfte ich mein Gewissen… vorsichtig, so wie man mit einer betäubten, aber giftigen Schlange umgeht. Ich versuchte mich mit den Augen von Janice zu sehen und sah (wie jedes Mal) den Mann, der sie und ihre Tochter in ein Drittweltland gelotst hatte; der sie dort nahezu an den Bettelstab gebracht und sie einer Strandkultur von Exilanten ausgesetzt hatte, die zwar farbenfroh und interessant, aber auch von Drogen bestimmt war, gefährlich und hoffnungslos unproduktiv.
    Das freundliche Wort für so ein Verhalten ist »gedankenlos«. Weniger freundliche heißen »egoistisch« und »rücksichtslos«.
    Hatte ich mich geändert? Na ja, vielleicht. Aber noch immer schuldete ich Hitch Paley mehrere tausend Dollar (obwohl ich seither nichts von ihm gehört hatte und nun die vorsichtige Hoffnung nährte, er könne es dabei bewenden lassen) – und auf ein Leben, zu dessen Zutaten ein Hitch Paley zählt, kann unmöglich Verlass sein.
    Trotzdem, da war Kaitlin, es ging ihr gut, wie ein angeschirrter Kapuzineraffe titschte sie immer wieder gegen die Polsterung. Ich hatte ihr beigebracht, die Schuhe zu binden. In einer wolkenlosen Nacht in Chumphon hatte ich ihr das Kreuz des Südens gezeigt. Ich war ihr Vater, und sie ertrug mit Freuden meine Gegenwart.
    Wir verbrachten drei Stunden in der Mall, länger hätte Kait nicht durchgehalten. Sie war fasziniert, wenn auch ein bisschen eingeschüchtert von den Clowns in ihren morphenden Kostümen und Masken. Sie vertilgte eine erstaunliche Menge Mall-Food, ließ zwei halbstündige Surround-Adventures von der ersten bis zur letzten Minute über sich ergehen und schlief aufrecht sitzend während der ganzen Rückfahrt zu meiner Wohnung.
    Zu Hause angekommen, drehte ich die Beleuchtung hoch und sperrte die winterliche Präriedämmerung aus. Zum Dinner schob ich Tiefkühlhähnchen und grüne Bohnen in die Mikrowelle, Proletenessen, das aber lecker roch in der winzigen Küche; beim Essen sahen wir uns Downloads an. Kaitlin sagte nicht viel, aber die Atmosphäre war heimelig.
    Und wenn sie nach rechts sah, konnte ich ihr taubes Ohr sehen, das in einem Nest aus Goldhaar schlief. Es war nicht sehr deformiert, bloß ein bisschen gekräuselt, da wo die Bakterien kleine Kerben ausgefressen hatten, die rötlich vernarbt waren.
    In dem anderen Ohr trug sie eine Hörhilfe, die wie eine winzige, glänzende Muschel aussah.
    Nach dem Dinner spülte ich, dann redete ich ihr mit Engelszungen die Trickfilme aus und schaltete die Nachrichten ein.
    Es gab Neuigkeiten aus Bangkok.
    »Das«, sagte Kaitlin säuerlich, als sie vom Klo zurückkam, »ist das, was Mr. Levy sehen wollte.«
     
    Es handelte sich, wie Sie sicher erraten haben, um den ersten Chronolithen, der eine City gesprengt hatte – praktisch der erste Hinweis, dass in Südostasien weit mehr passierte als eine »Stranger-than-Science«-Episode.
    Ich setzte mich neben Kaitlin, die sich gleich an meine Rippen kuschelte, derweil ich den Bericht verfolgte.
    Bei ihr brach sofort die Langeweile aus. Kinder in ihrem Alter sehen nicht den Zusammenhang; eine Videosequenz ist wie die andere. Und sie sind schonungslos aufmerksam. Sie war beeindruckt, wenn auch verwirrt von den Aufnahmen, die aus einem Hubschrauber gefilmt worden waren, von den zerstörten und überfrorenen Stadtvierteln am Fluss, die in der Sonne dampften. Es standen wohl nur wenige Aufnahmen zur Verfügung und die

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