Die Chronolithen
derart mit Tau-Turbulenz und offenkundigen Paradoxa befrachtet – Ursache und Wirkung derart wechselseitig verflochten –, dass sich keine stringente Erklärung ergeben hat. Die Vergangenheit (Rays Minkowski-Eis vermutlich) ist zwar unveränderlich, aber ihrer Struktur wurden feine Risse beigebracht, Schichten wurden komprimiert und aufgeworfen, so dass sie stellenweise chaotisch und uninterpretierbar wurde.
Das Material fühlte sich kalt an.
Schwer zu sagen, ob ich richtig gebetet habe. Ich weiß nicht, wie man betet. Aber ich habe im Stillen ein paar Namen gesprochen, Worte an die Tau-Turbulenz gerichtet, falls noch etwas von ihr übrig ist. Unter den Namen war auch Sues Name. Ich habe ihr gedankt.
Dann habe ich die Toten angefleht, mir zu vergeben.
Der Wachmann wurde schließlich ungeduldig. Als die Sonne den Horizont berührte, brachte er mich zum Elektromobil zurück. »Sie müssen eine Menge zu erzählen haben«, sagte er.
Sicher. Und einiges habe ich für mich behalten. Bis jetzt.
Hat es jemals einen leibhaftigen Kuin gegeben – ich meine, einen einzelnen Menschen diesen Namens?
Wenn, dann bleibt er anonym, überschattet von den Armeen, die in seinem Namen kämpften und ihn zur Ideologie erhoben. Sicher, es wird einen ersten Kuin gegeben haben, der aber unter unzähligen Nachfolgern verschüttet wurde. Vielleicht, wie Sue spekuliert hatte, hatte jeder Chronolith seinen eigenen Kuin.
Schließlich stand der Name »Kuin« nur noch für die Leere im Auge des Wirbelsturms. Der König ist tot; lang lebe der König.
Nach Ashlees Tod Ende letzten Jahres musste ich ihre Sachen durchforsten. Tief unten in einer Schachtel mit uralten Papieren (abgelaufenen Lebensmittelkarten; Steuerformularen; vergilbten, längst überholten Mitteilungen der städtischen Versorgungsbetriebe), da stieß ich auf die Geburtsurkunde von Adam. Das Verblüffende war nur, dass sein zweiter Vorname Quinn war, und dass Ashlee mir gegenüber nie ein Wort darüber verloren hat.
Doch diese Lautverwandtschaft zwischen Quinn und Kuin ist nun wirklich ein Zufall. Das jedenfalls will ich glauben. Ich bin jetzt alt genug, um zu glauben, was ich glauben will. Und nicht zu glauben, was ich unerträglich fände.
Kait ließ David zu Hause und fuhr mit mir nach Bota Raton, ein ungeplanter Sommerurlaub. Wir hatten uns seit Ashlees Begräbnis im Dezember nicht mehr gesehen. Bota Raton war ein spontaner Einfall gewesen: Ich wollte mir, solange ich noch reisen konnte, die Werften ansehen.
Heutzutage spricht jeder vom Frieden. Wir sind wie unheilbar Kranke, denen man eine Wunderheilung versprochen hat. Die Sonne scheint sonniger, die Welt steht uns offen (wie es aussieht) und die Zukunft ist grenzenlos hell. Wir alle werden unweigerlich enttäuscht sein. Doch hoffentlich nicht allzu sehr.
Natürlich gibt es einige Dinge, auf die wir stolz sein dürfen – die Schiffswerften zum Beispiel.
Ich erinnere mich, dass Sue Chopra um die Zeit des Portillo-Ereignisses behauptet hatte, die Technologie der Calabi-Yau-Manipulation werde eine Fülle von Wundern hervorbringen, an deren Seite sich die Chronolithen wie Eintagsfliegen ausnahmen. (»Interstellare Raumfahrt, Scotty: eine reale Möglichkeit!«) Und hatte wie gewöhnlich Recht behalten. Sie hatte ein untrügliches Gespür für die Zukunft.
Kait und ich spazierten die lange Promenade hinauf; vom Aussichtsplateau konnte man die Startrampen überblicken, einen riesigen halbmondförmigen Komplex aus Glas und Stahl.
Kait hakte sich unter – ich brauche ein bisschen Hilfe bei langen Spaziergängen. Wir redeten, aber nicht über die großen Angelegenheiten unseres Daseins. Nicht im Urlaub.
Es hatte sich so viel geändert. Erst einmal hatte ich natürlich Ashlee verloren. Ash war Ende letztes Jahr an einem unverdächtigen Aneurisma gestorben, und nun war ich Witwer. Aber wir hatten trotz kriegsbedingter Entbehrungen und ständiger Geldnöte viele glückliche Jahre miteinander verbracht. Ich vermisse sie jeden Tag aufs Neue, aber ich sprach nicht mit Kaitlin darüber. Wir sprachen auch nicht über Kaits Mutter, die zurückgezogen und recht gut in Washington lebte; oder über Whit Delahunt, der seinen Lebensabend in einem Bundesprojekt außerhalb von St. Paul verbrachte, wo er wegen Volksverhetzung einen zwanzigjährigen Sozialdienst mit Hausarrest ableistete. Das alles gehörte der Vergangenheit an.
Heute glaubten wir wieder an die Möglichkeit einer Zukunft.
Auf dem Aussichtsplateau wimmelte es
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