Die Chronolithen
Rechtschaffenheit.
Ich würde noch rechtzeitig zu Ansehen kommen; Janice würde sehen, was in mir steckt, und mir verzeihen, und Kait würde mir auf wackeligen Beinchen in die Arme laufen.
Aber mein Vater wollte mir nicht aus dem Kopf – ich sah ihn in meinem Spiegelbild im regenschraffierten Fenster. Misserfolg ist Entropie, schien die Erscheinung zu sagen, und Entropie ist ein Naturgesetz. Aus Liebe wird Schmerz. Schließlich wirst du ihn ignorieren. Du erreichst das Nirwana der Gleichgültigkeit. Nicht, dass es leicht fiele. Doch nichts, was sich lohnt, fällt leicht.
Hitch und ich waren unter den Ersten, die den Chumphon-Chronolithen gesehen hatten, und in der großen Durchdringung von Zeit und Geist in der Folge… na ja, da frage ich mich natürlich, wie viel von meinem eigenen Pessimismus (oder dem meines Vaters) in diesem Slalom steckte.
Ganz zu schweigen von einer Prise Wahnsinn mütterlicherseits. Kaltluft rieselte in das abgedunkelte Abteil, und ich entsann mich, wie leidenschaftlich meine Mutter die Kälte gehasst hatte. Sie hatte sie persönlich genommen, besonders in den letzten Jahren vor ihrem Tod. Als persönlichen Affront. Sie war ein Feind von Eis, Schnee war ihr eine Qual.
Sie hat mir mal erzählt, Schnee sei Engelskot; er stinke nicht, weil er engelhaften Ursprungs sei, er sei aber nichtsdestoweniger ein Marterwerkzeug, so vollkommen rein, dass sterbliche Haut sich daran verbrenne.
Als ich den Kontrollabschnitt meines Tickets wegstecken wollte, bemerkte ich unter dem AmMag-Logo die laufende Nummer 2041 – die Jahreszahl auf dem Chronolithen.
Im Bahnhof Minneapolis/Saint Paul kaufte ich das Lokalblatt und ein populärwissenschaftliches Magazin mit einem Artikel über den Chronolithen.
Das Magazin präsentierte aktuelle Bilder; vieles hatte sich verändert, seit Hitch und ich dagewesen waren. Bulldozer und Planierraupen hatten das ihre getan; rings um die Säule erstreckte sich eine weite erdbraune Leere; an der gerodeten Peripherie standen Zelte, offene Polygone mit Gerätschaften und Behelfslabors sowie eine Phalanx ockerfarbener Chemietoiletten. Die pazifischen Vertragsmächte hatten einen multinationalen Pool wissenschaftlicher Ermittler eingesetzt, zum größten Teil Werkstoffspezialisten, die eingestandenermaßen vor einem Rätsel standen. Der Chronolith war außergewöhnlich reaktionsträge. Er schien überhaupt nicht auf seine Umgebung zu reagieren, nicht auf Säure, nicht auf Laserstrahlen; so tief man grub, er wollte kein Ende nehmen; seine Temperatur, zumindest seit der eisigen Druckwelle seines Auftauchens, war nie um den Bruchteil eines Celsiusgrades von der Umgebungstemperatur abgewichen. Das Ding zierte sich ungemein.
Die Spektralanalyse der Säule erwies sich als besonders unergiebig. Bestimmte Wellenlängen im blaugrünen Anteil des sichtbaren Lichts wurden durchgelassen und reflektiert – dasselbe galt unerklärlicherweise für ein paar harmonische Wellenlängen des Infrarot- und Ultraviolettbereichs. Andere Frequenzen wurden entweder total reflektiert oder total absorbiert, und zwar so total, wie es praktisch nicht vorkam. Input und Output spielten anscheinend ein Nullsummenspiel, doch niemand war sich da ganz sicher und selbst diese mutmaßliche Symmetrie widersetzte sich einer einfachen Erklärung. Schließlich spekulierte der Artikel über einen gänzlich neuen Materiezustand, der weniger eine Erklärung als ein Eingeständnis von Ratlosigkeit war, allerdings so formuliert, dass der stete Strom der Forschungsmittel dadurch nicht ins Stocken geriet.
Die Spekulationen über die Inschrift des Chronolithen waren noch wilder und noch weniger aufschlussreich. War »Zeitreise« wirklich eine praktikable Möglichkeit? Die meisten Autoritäten wiesen diesen Gedanken strikt von sich. Dann war die Inschrift vielleicht eine Form von Tarnung, eine Art Ablenkungsmanöver. Auch der Name »Kuin« war verdächtig nichtssagend. Falls er echt war, hätte er aus dem Chinesischen kommen können, eher aber aus dem Niederländischen; das Wort tauchte auch im Finnischen und Japanischen auf; es gab sogar einen Stamm von Ureinwohnern Perus, die Huni Kuin hießen, obwohl man die Huni Kuin getrost außen vor lassen konnte.
Die Alternative – dass irgendein asiatischer Kriegsherr in nur zwanzig Jahren ein Monument zum Gedenken an eine unbedeutende Schlacht errichten und in die jüngste Vergangenheit profitieren ließ – war einfach zu albern, um wahr zu sein. (Sollte man das inzwischen
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