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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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für kurzsichtig halten, gebe ich zu bedenken, dass die Wissenschaft, was den Kuin-Monolithen betraf, bereits eine ganze Reihe offensichtlicher Absurditäten hatte schlucken müssen und verständlicherweise vor dieser äußersten Unmöglichkeit zurückscheute. Damals ging man freimütiger mit dem Wort »unmöglich« um.)
    Das war die übereinstimmende Meinung im Herbst 2021.
    Das Lokalblatt hatte ich aus eher praktischen Erwägungen gekauft. Ich durchsuchte den Anzeigenteil nach einer Mietwohnung näher am Stadtrand, wo die Digital-Design-Konsortien saßen. Heraus kam eine ganze Liste von Objekten. Bis Mittwoch hatte ich mir ein Anderthalbzimmerappartment in einem Mietshaus ohne Fahrstuhl »erkauft«, und zwar genau westlich der Twin Cities Agricultural Enclave. [vi] Die Wohnung war unmöbliert. Ich kaufte Stuhl, Tisch und Bett. Mehr wäre ein Ausdruck von Pessimismus gewesen. Die Bude sollte ein Provisorium sein, mehr nicht. Danach ging ich auf Jobsuche. Ich rief Janice nicht an, nicht sofort jedenfalls, denn ich wollte etwas vorzeigen können, einen Beweis meiner Glaubwürdigkeit: ein Einkommen zum Beispiel. Hätte es ein Verdienstabzeichen für Gute Staatsbürgerschaft gegeben, ich hätte darum ersucht.
    Natürlich half das alles nichts. Was vorbei ist, ist vorbei, eine Tatsache, die der Leser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit versteht. Die jüngere Generation weiß darüber besser Bescheid als unsereins. Ganz unfreiwillig.

 
DREI
     
     
    Im Februar 2022 waren Janice und Kaitlin in eine hübsche Eigentumswohnung in der Vorstadt gezogen; Janice nahm einen weiten Weg zur Arbeit in Kauf, dafür war Kaits Schulweg umso kürzer. Nach unserem Scheidungsvertrag vom Dezember durfte ich Kait im Durchschnitt eine Woche pro Monat zu mir nehmen.
    Was Kait anging, hatte Janice mit sich reden lassen, und ich hatte meine Tochter seit der Trennung schon häufiger zu Gesicht bekommen. Laut Plan sollte ich Kait diesen Samstag übernehmen. Doch ein vom Scheidungsgericht verordnetes Beisammensein ist nicht nur ein Beisammensein. Es ist auch Befremden, Verlegenheit und Unbehagen.
    Ich erschien um 8.45 Uhr bei Janice, es war ein sonniger, aber bösartig kalter Samstagmorgen. Janice bat mich in ihre Wohnung und erklärte, Kait sei noch bei einer Freundin, und die beiden sähen sich bis zur verabredeten Zeit die morgendlichen Trickfilme an.
    Die Etage duftete nach frisch gereinigten Teppichen und Frühstück. Janice in Freizeitbluse und Jeans goss mir Kaffee ein. Mir war, als hätten wir eine Art Wiederannäherung erreicht – uns ebenso gut aufeinander freuen können, wäre da nicht das Gepäck an Schmerz und Schuldzuweisungen gewesen, das jeder von uns mit sich herumschleppte. Ganz zu schweigen von gekränkter Zuneigung, enttäuschter Hoffnung und stillem Kummer.
    Janice setzte sich zu mir an den Frühstückstisch. Sie hatte ein paar von ihren Antiquitäten auf dem Tisch gelassen. Zufall? Sie sammelte gedruckte Magazine aus dem letzten Jahrhundert, Life und Time zum Beispiel. Sie lagen da in ihren steifen Kunststoffumschlägen wie Werbeprospekte für ein verlorenes Zeitalter, entwertete Tickets von der Titanic. »Du bist noch bei Campion-Miller?«, fragte sie.
    »Ein neuer Halbjahresvertrag.« Und Dreitausend rückwirkend. Auf diese Weise konnte sich mein Netto über kurz oder lang bis zum Level eines Junior-Programmierers mausern. Den Bonus hatte ich größtenteils für ein Breitwanddisplay ausgegeben, als Heimkino für Kait und mich gedacht. Noch vor Weihnachten hatte mein Notebook dafür herhalten müssen.
    »Sieht längerfristig aus.«
    »Abwarten.« Ich nahm einen Schluck aus der Tasse. »Der Kaffee ist übrigens lausig.«
    »Oh?«
    »Du hast immer schon schlechten Kaffee gemacht.«
    Janice lächelte. »Und jetzt bringst du es fertig, mir das zu sagen?«
    »Mm-hm.«
    »Die ganzen Jahre hast du also meinen Kaffee gehasst?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn gehasst habe. Nur, dass er schlecht war.«
    »Du hast nie eine Tasse abgelehnt.«
    »Nein. Das stimmt.«
    Kaitlin kam von den Nachbarn zurück – platzte in tropfnassen Kunststoffstiefeln und plissierter Winterjacke durch die Vordertür. Ihre Brillengläser beschlugen sich augenblicklich. Die Brille war ihre neueste Errungenschaft. Kaitlin war nur leicht kurzsichtig, aber operative Korrekturen nahm man an Kindern ihres Alters nicht vor. Sie wischte mit den Fingern über die Gläser und starrte mich eulenhaft an.
    Früher hatte Kait mich immer mit einem

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