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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Tagesanbruch unschädlich machte.
    Nicht einmal das war mir vergönnt. Eine Stunde vor Sonnenaufgang schnurrte das Handy. Ich hätte warten sollen, bis sich der Server einschaltete. Stattdessen grapschte ich nach dem Ding und schnippte es auf, besorgt – wie stets, wenn spät nachts jemand anrief –, es könnte Kait etwas zugestoßen sein. »Hallo?«
    »Scott«, sagte eine raue männliche Stimme. »Scotty.«
    Einen paranoiden Moment lang kam mir Hitch Paley auf seiner Maschine entgegen, ein stocksaures Gespenst aus der Vergangenheit. Ich hatte seit 2021 nichts mehr von ihm gehört.
    Aber es war nicht Hitch.
    Es war ein anderes Gespenst.
    Ich lauschte dem röchelnden Atem, dem Kommen und Gehen der Nachtluft in einer welken Lunge. »Dad?«
    »Scotty…«, sagte er, als komme er nicht über den Namen hinaus.
    »Dad, hast du getrunken?« Ich war so taktvoll, das Wörtchen »wieder« wegzulassen.
    »Nein«, sagte er verärgert. »Nein, ich… ähm, scheiß was drauf. So behandelt man… behandelt man… na ja, du weißt schon… Scheiße.«
    Dann war er fort.
    Ich wälzte mich aus dem Bett.
    Ich sah zu, wie im Osten die Sonne über den landwirtschaftlichen Genossenschaften aufging, unseren großen selbstständigen Farmkollektiven, unserem Bollwerk gegen den Hunger. Schnee lag wie Puderzucker auf den Feldern, weiß glitzernd zwischen den leeren Saatfurchen.
     
    Später fuhr ich zu Annalies Wohnung, klopfte an die Tür.
    Wir hatten uns seit einem Jahr nicht mehr verabredet, gingen aber, wenn wir uns in der Kantine oder in der Cafeteria trafen, immer noch sehr nett miteinander um. Sie hegte zu jener Zeit entfernt mütterliche Gefühle für mich – erkundigte sich eingehend nach meiner Gesundheit, als erwarte sie, dass früher oder später etwas ganz Schlimmes passieren würde (vielleicht war es längst passiert, obwohl ich nach wie vor die Gesundheit eines Pferdes hatte).
    Doch als sie die Tür aufmachte und mich dastehen sah, war sie verblüfft. Verblüfft und unverkennbar erschrocken.
    Sie wusste, dass man mich entlassen hatte! Vielleicht wusste sie noch mehr.
    Weshalb ich sie aufgesucht hatte: wegen der vagen Möglichkeit, Licht in meine Angelegenheit zu bringen.
    »Scotty«, sagte sie, »he, du hättest erst anrufen sollen.«
    »Du hast zu tun?« Sie sah nicht danach aus. Sie trug einen lockeren Hosenrock und ein verschossenes gelbes Hemd. Vielleicht war sie gerade dabei, die Küche aufzuräumen.
    »In ein paar Minuten geh ich aus. Ich würde dich ja hereinbitten, aber ich muss mich noch umziehen und… Was führt dich her?«
    Sie hatte, wie ich feststellte, tatsächlich Angst vor mir – oder davor, mit mir gesehen zu werden.
    »Scott?« Sie sah den Flur hinauf und hinunter. »Hast du Probleme?«
    »Warum soll ich Probleme haben, Annalie?«
    »Na ja – ich habe gehört, man hat dir gekündigt.«
    »Seit wann?«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Seit wann du weißt, dass ich entlassen werden sollte?«
    »Du meinst, ob alle Bescheid wussten? Nein, Scott. Mein Gott, das wär ja demütigend. Nein, man hört Gerüchte…«
    »Was für Gerüchte?«
    Sie schob steile Fältchen zwischen die Brauen und nagte an der Unterlippe. Das war neu an ihr. »Das, woran Campion-Miller arbeitet, verträgt keinen Ärger mit der Regierung.«
    »Was, zum Teufel, hat das mit mir zu tun?«
    »Schrei nicht so!«
    »Annalie – Ärger mit der Regierung?«
    »Ein paar Leute sollen sich nach dir erkundigt haben. Regierungsleute oder so.«
    »Polizei?«
    »Hast du Ärger mit der Polizei? Nein, Leute in Zivil. Vielleicht vom Finanzamt, ich weiß nicht.«
    »Das ergibt keinen Sinn.«
    »Das wird geredet, Scott. Das kann alles Quatsch sein. Ich hab keine Ahnung, warum man dich gefeuert hat. Es ist nur, dass CM – dass man auf die ganzen Genehmigungen angewiesen ist. Das ganze technische Zeug für Übersee. Wenn jemand kommt und Erkundigungen über dich einzieht, sind eben alle betroffen.«
    »Annalie, ich bin kein Sicherheitsrisiko.«
    »Weiß ich, Scott.« Das wusste sie eben nicht. Sie mied meine Augen. »Ehrlich, ich bin mir sicher, dass alles nur Quatsch ist. Aber jetzt muss ich mich wirklich umziehen.« Sie begann die Tür zentimeterweise zu schließen. »Das nächste Mal ruf um Himmels willen an!«
    Sie wohnte im zweiten Stock eines kleinen dreistöckigen Backsteingebäudes in der Altstadt von Edina. Apartment 203. Ich starrte auf die Zahl an der Tür. Zwanzig und Drei.
    Ich habe Annalie Kincaid nie wiedergesehen. Gelegentlich frage ich mich, was

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