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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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ein paar Fragen auf«, sagte ich.
    »Okay.«
    »Erstens, was bedeutet das für Kuin? Wie habe ich mir das vorzustellen, dieses erste Mal, als er uns das Chumphon-Monument geschickt hat. Hat er da nicht seine eigene Vergangenheit geändert? Gibt es jetzt zwei Kuins?«
    »Mit anderen Worten, du fragst, ob wir das auf der theoretischen Ebene besser verstehen. Jein. Die Viele-Welten-Hypothese möchten wir am liebsten vermeiden…«
    »Wieso? Wenn das doch die leichteste Antwort ist?«
    »Weil wir Grund zu der Annahme haben, dass sie falsch ist. Und wenn nicht, würde das unseren Spielraum beträchtlich verringern. Wie auch immer, die Alternative…«
    »Die Alternative«, sprang Ray ein, »wäre, dass Kuin jedes Mal eine Art Selbstmord begeht.«
    Die Kellnerin schob einen leinengedeckten stummen Diener mit unserem Essen an den Tisch und schob ihn leer wieder zur Küche zurück. Die IDF-Leute am anderen Ende des Raumes waren bereits mit dem Dessert beschäftigt. Ich fragte mich, ob sie wohl noch nie in einem Vier-Sterne-Hotel gespeist hatten, denn so aßen sie – mit großer Hingabe und der einen oder anderen Bemerkung, was sie das wohl gekostet hätte, hätten sie es selber zahlen müssen.
    »Verändern, was gewesen ist«, sagte Sue zwischen zwei Bissen. »Löschen und Ersetzen, aber das ist doch nicht dasselbe wie Selbstmord? Nehmen wir einen hypothetischen Kuin, irgendeinen Warlord aus dem Hinterland, dem diese Technologie in die Hände fällt. Er drückt den Knopf und plötzlich ist er nicht mehr nur Kuin, er ist der Kuin, der, auf den sie alle gewartet haben, eine Art Messias für jedermann, während er selbst nicht die geringste Veränderung wahrnimmt. Zumindest ein Teil seiner Vita ist verschwunden, doch der Verlust ist schmerzlos. Man verherrlicht ihn, er hat eine Armee, er hat Glaubwürdigkeit, er hat eine grandiose Zukunft. Entweder so oder ein ehrgeizigeres Individuum hat den Platz des ursprünglichen Kuin eingenommen, jemand, der mit dem Wunsch aufgewachsen ist, Kuin zu sein. Schlimmstenfalls handelt es sich um eine Art Tod, aber es ist auch ein potenzielles Ticket zum Ruhm. Kann man um etwas trauern, das man niemals besaß?«
    Da war ich mir nicht so sicher. »Es bleibt eine riskante Sache. Wenn man es einmal gemacht hat, warum den Knopf ein zweites Mal drücken?«
    »Wer weiß? Ideologie, Größenwahn, blinder Ehrgeiz oder ein selbstzerstörerischer Impuls. Oder er hatte keine Wahl angesichts der militärischen Entwicklung. Vielleicht gibt es jedes Mal einen anderen Grund. Wie man es auch betrachtet, er ist mitten in der Feedbackschleife. Er ist das Signal, aus dem das Geräusch entsteht.«
    »Also wird aus einem kleinen Geräusch ein lautes«, sagte Morris. »Aus einem Furz wird ein Donnerschlag.«
    Sue nickte eifrig. »Aber der Verstärkungsfaktor ist nicht nur die Zeit. Hinzu kommt die menschliche Erwartung und die menschliche Interaktion. Den Steinen ist Kuin egal, den Bäumen auch, uns aber nicht. Wir handeln auf Grund von Antizipation, und von Mal zu Mal fällt es leichter, den alles erobernden Kuin zu antizipieren: Kuin der Gottkönig. Wir sind versucht, nachzugeben, gemeinsame Sache mit ihm zu machen, den Eroberer zu idealisieren, und wozu? Um dazu zu gehören, um nicht zermalmt zu werden.«
    »Soll das heißen, wir erschaffen Kuin.«
    »Nicht ausgerechnet wir, aber die Leute, ja, die Menschen im Allgemeinen.«
    Morris sagte: »Ähnlich wie bei meiner Frau, bevor wir uns getrennt haben. Sie hasste die Vorstellung, ich könnte sie enttäuschen, so sehr, dass sie ständig daran dachte. Egal, was ich tat, wie sehr ich sie beruhigte, was ich verdiente, dass ich jede Woche zur Kirche ging. Ich musste mich ständig bewähren. ›Eines Tages wirst du mich verlassen‹, sagte sie immer wieder. Man kann so etwas herbeireden.«
    Morris kam zu Bewusstsein, was er gesagt hatte, er schob das Glas Wein zurück und wurde rot.
    »Erwartung«, sagte Sue, »ja, Rückkopplung. Genau. Plötzlich verkörpert Kuin alles, was wir fürchten oder uns insgeheim wünschen…«
    »Slouching toward Jerusalem to be born«, warf ich ein. [xxi]
    Eine Vorstellung, die einen Hauch von Kälte zu verbreiten schien. Selbst die ruppigen IDF-ler waren jetzt leiser.
    »Tja«, sagte ich, »das ist ja nicht gerade beruhigend, aber es klingt logisch. Und was ist Minkowski-Eis?«
    »Eine ganz andere Metapher. Aber genug für heute. Gedulde dich bis morgen, Scotty. Ray verklickert es dem Verteidigungsminister.«
    Sie lächelte hilflos, als Ray

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