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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Sue, Morris und Ray erwartet. Morris umfasste mit einer Geste die fünf Etagen hängender Pflanzen und sagte: »Prüf es nach, Scotty, das sind die hängenden Gärten von Semiramis.«
    »Babylon ist ziemlich weit östlich von hier«, sagte Sue. »Aber sicher.«
    Im Foyer-Restaurant steuerten wir auf einen Tisch zu, der möglichst weit von den einzigen anderen Gästen entfernt war, lauter IDF-Leuten, Männer und Frauen, zusammengepfercht in einer roten Vinyl-Nische.
    Unsere Kellnerin (die einzige) war eine ältere Frau mit amerikanischem Akzent. Sie behauptete, die Evakuierung mache ihr nichts aus, auch wenn sie dadurch gezwungen sei, im Hotel zu übernachten. »Ich fahre sowieso nicht gerne in diesen leeren Straßen herum, so sehr ich mich früher über den Verkehr beklagt habe.« Heute Abend gebe es Hähnchen mit Mandeln. Sonst nichts, außer jemand sei auf irgendwas allergisch. In dem Fall ließe der Küchenchef bestimmt mit sich reden.
    Hähnchen für alle, und Morris bestellte eine Flasche Weißwein.
    Ich erkundigte mich nach dem Programm für den nächsten Tag. Morris sagte: »Abgesehen von der wissenschaftlichen Arbeit steht uns am Nachmittag der israelische Verteidigungsminister ins Haus. Samt Presse.« Er setzte hinzu: »Ein belangloser Besuch. Wir wären nicht hier, wenn wir mehr Informationen besäßen als die israelische Regierung. Eine Inszenierung für die Medien. Aber Ray und Sue müssen sich schon ein paar allgemeinverständliche Erklärungen ausdenken.«
    Ray fragte: »Kriegt er Minkowski-Eis oder Feedback?«
    Morris und ich verzogen keine Miene. Sue sagte: »Man schließt andere nicht aus, Ray. Das sind schlechte Manieren. Morris, Scotty, ihr habt doch sicher schon mal einen Blick in die Berichte für den Kongress geworfen.«
    »Die Version für Analphabeten«, sagte Morris.
    »Wir verwenden viel Zeit darauf, Mathematik in Worte zu kleiden.«
    »Die Suche nach Metaphern«, sagte Ray.
    »Wir dürfen die Menschen nicht im Unklaren lassen. Wir können natürlich nur erklären, was wir auch verstehen, und das ist nicht eben viel.«
    Ray ließ nicht locker. »Minkowski-Eis oder positives Feedback?«
    »Feedback, denke ich.«
    Morris sagte: »Ich fühle mich immer noch ausgeschlossen.«
    Sue zeigte steile Fältchen zwischen den Brauen. »Morris, Scotty, Feedback ist euch doch ein Begriff?«
    Was ich mit Sues Code machte, hatte zur Hälfte mit Rekursion und Selbstverstärkung zu tun. Doch sie redete von etwas viel Allgemeinerem. Ich sagte: »Feedback ist, wenn man in der Aula aufsteht, um sich von der High-School zu verabschieden, und die Lautsprecher quieken wie ein Ferkel in Todesangst.«
    Sie grinste. »Gutes Beispiel. Beschreibe, was da passiert, Scotty.«
    »Zwischen Mikro und Lautsprecher gibt es einen Verstärker. Im schlimmsten Fall führen die drei eine Unterhaltung. Was ins Mikro hineingeht, kommt aus dem Lautsprecher heraus, und zwar lauter. Jedes Geräusch im System durchläuft eine Schleife.«
    »Genau. Das kleinste Geräusch, das vom Mikro aufgenommen wird, kommt verstärkt aus dem Lautsprecher. Das wiederum hört das Mikro und gibt es an den Verstärker weiter und so weiter und so fort, bis das System anfängt zu schrillen… oder wie ein verängstigtes Ferkel zu quieken.«
    »Und das hat mit den Chronolithen zu tun«, sagte Morris. »Wieso?«
    »Weil die Zeit selbst so etwas wie ein Verstärker ist. Schon mal gehört, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in China verantwortlich für ein Unwetter über Ohio sein kann? Der sogenannte Schmetterlingseffekt. Ein gewaltiges Ereignis war oft ein kleines, das von der Zeit verstärkt wurde.«
    »Wie in den Filmen, in denen jemand in die Vergangenheit reist und am Ende seine eigene Gegenwart ändert.«
    »Das eine wie das andere«, sagte Sue, »ist ein Beispiel für Verstärkung. Aber wenn Kuin uns ein Monument zur Erinnerung an einen Sieg in zwanzig Jahren schickt, ist das, als hielte man das Mikro in Richtung Lautsprecher, eine Feedbackschleife, und zwar eine absichtliche. Selbstverstärkung ist nach unserer Auffassung die Ursache für die rasante Verbreitung der Chronolithen. Indem er seine Siege zur Schau stellt, erzeugt Kuin die Erwartung, dass er siegreich sein wird. Und das macht den Sieg sehr viel wahrscheinlicher, ja geradezu zwangsläufig. Und erst recht den nächsten. Und so weiter und so fort.«
    Das alles war mir nicht neu. So viel hatte ich mir aus Sues Arbeit zusammengereimt und aus den Spekulationen in der Presse. »Das wirft

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