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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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genug über Sue Chopra. Doch ich kann meine persönliche Geschichte nur so erzählen, wie ich sie erlebt habe. Sue war, wie ich fand, so sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, dass sie blind war für die Kräfte, die sie abhängig und zu einem Mündel des Staates gemacht hatten. Dass sie sich an die Leine legen ließ, ärgerte mich, wahrscheinlich, weil ich an der meinen zerrte und dieselben Leckerchen bekam. Ich hatte Zugang zu den besten und neuesten Prozessorplattformen, den geilsten Codebrütern, wurde aber zugleich auf Schritt und Tritt überwacht und bezahlt, um einer noch unausgegorenen Wissenschaft namens Tau-Turbulenz DNS und Urinproben zu spenden.
    Ich hatte mir vorgenommen, so lange durchzuhalten, bis ich den Löwenanteil von Kaitlins Operation finanziert hatte. Dann hatte ich den Rücken frei. Sollten die Chronolithen ihren Marsch fortsetzen, wollte ich zu Hause und in der Nähe von Kaitlin sein, während die Krise sich zuspitzte.
    Was Kait betraf… in meiner Situation konnte ich ihr auf alle Fälle eine seelische Stütze sein, eine Zuflucht, falls es mit Whit nicht klappte, ein Vater auf der Reservebank. Ich hatte ein Gefühl, vielleicht genauso stark und so eigentümlich wie die Träume von Morris, dass sie mich früher oder später brauchen würde.
     
    Wir waren in Jerusalem, weil sich der Chronolith mit leisen Schauern lokaler Radioaktivität angekündigt hatte, vergleichbar mit dem drohenden Grollen eines Vulkans. Ob es auch die Vorhut einer Tau-Turbulenz gab, was immer das sein mochte? Ein Anflug von Seltsamkeit, eine fraktale Kaskade von Zufälligkeit? Wenn ja, konnte man es wahrnehmen? Fiel es einem auf?
    Als ich Donnerstag früh aufwachte, blieben uns weniger als fünfzehn Stunden bis zum geschätzten Zeitpunkt des Ereignisses. Inzwischen war die gesamte Etage abgeriegelt, niemand durfte hinein oder hinaus, mit Ausnahme der Techniker, die zwischen den Monitoren im Haus und dem Antennenwald auf dem Dach pendelten. Offenbar hatte es Drohungen von irgendwelchen radikalen Kadern gegeben. Die Hotelküche lieferte nach einem strengen Zeitplan.
    Die Stadt lag still und ruhig unter einem stumpfen türkisfarbenen Himmel.
    Am Nachmittag traf der israelische Verteidigungsminister ein. Zwei akkreditierte Kameraleute, drei junge Militärberater und ein paar Kabinettsminister folgten ihm zur obersten Etage. Die Presseleute trugen Steadicams auf der Schulter. Der Verteidigungsminister, ein glatzköpfiger Mann in Khakiuniform, lauschte Sues Beschreibung der Aufklärungsapparaturen und folgte pflichtgetreu Ray Moselys stolpernden Ausführungen über »Minkowski-Eis« – eine unglückliche Metapher, wie ich fand.
    Minkowski, ein Physiker des zwanzigsten Jahrhunderts, hatte behauptet, man könne das Universum als vierdimensionalen Kubus auffassen. Jedes Ereignis ließe sich als Punkt im vierdimensionalen Raum beschreiben. Die Gesamtheit dieser Punkte sei das Universum, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
    Nun solle man, sagte Ray, sich diesen Minkowski-Kubus als einen Block aus flüssigem Wasser vorstellen, das (so falsch einem das auch vorkomme) im Begriff sei, von unten nach oben zu gefrieren. Das Voranschreiten des Gefrierens veranschauliche unsere menschliche Erfahrung vom Vergehen der Zeit. Das Gefrorene sei die Vergangenheit, unbeeinflussbar, unveränderlich. Das Flüssige sei die Zukunft, unbestimmt, ungewiss. Wir, so Ray, würden im kistallisierenden Grenzbereich leben. Um in die Vergangenheit zu reisen, müsse man das gesamte Universum ungeschehen machen (oder, wie ich hinzufüge, zum Schmelzen bringen). Offensichtlich absurd: Welche Macht der Welt könnte die Planeten zurückdrehen, tote Sonnen wiedererwecken und Kinder in ihre Mütter zurückschicken? Das habe Kuin auch nicht getan, wiewohl das, was er tue, phantastisch genug sei. Ein Chronolith, sagte Ray, sei wie eine heiße Nadel, die ins Minkowski-Eis gestoßen würde. Die Auswirkungen seien katastrophal, aber örtlich begrenzt. In Chumphon, in Thailand, in Asien, womöglich noch auf dem ganzen Planeten seien die Auswirkungen befremdend und paradox; doch der Mond sei nicht betroffen; die Kometen folgten nach wie vor ihren Bahnen; die Sterne blinzelten so unbekümmert wie immer. Rings um die abkühlende Nadel kehre das Minkowski-Eis wieder in den kristallinen Zustand zurück und die Zeit fließe wie zuvor, geringfügig irritiert vielleicht, mehr aber auch nicht.
    Der Verteidigungsminister akzeptierte die Ausführungen mit der unverhohlenen

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