Die Chronolithen
sich aufplusterte.
Nach einem Kaffee gingen wir auseinander. Ich fuhr allein nach oben.
Ich wollte Janice und Kaitlin anrufen, doch der Rufaufbau wurde mit dem Hinweis unterbrochen, die Bandbreite sei ausgelastet und ich müsse mindestens ein Stunde warten. Also fischte ich mir ein Bier aus der Minibar, legte die Füße auf die Fensterbank und sah einem Autorennen zu, das sich auf den dunklen Straßen der Sperrzone abspielte. Die Flutlichter auf dem Felsendom ließen das Bauwerk so verletzlich und solide aussehen wie die Geschichte selbst, doch in weniger als achtundvierzig Stunden würde sich wenige Meilen entfernt ein höheres und spektakuläreres Monument erheben.
Um sieben Uhr früh wachte ich auf, ich war nervös, aber nicht hungrig. Ich duschte und zog mich an und fragte mich, ob es mir wohl gelingen würde, einen Spaziergang rings um das Hotel zu machen. Ich wollte es wissen.
Am Aufzug wurde ich von zwei geschniegelten FBI-Beamten mit ausdruckslosen Mienen gestoppt. »Wo soll’s denn hingehen, Chef?«
»Frühstück«, sagte ich.
»Da müssen wir erst Ihr Abzeichen sehen.«
»Abzeichen?«
»Niemand betritt oder verlässt diese Etage ohne ein Abzeichen.«
Ich brauche kein verdammtes Abzeichen – aber offenbar doch. »Wer händigt die Dinger aus?«
»Da müssen Sie die Leute fragen, mit denen Sie hier sind, Chef.«
Was nicht lange brauchte, denn von hinten stieß Morris Torrance mit einem aufgeräumten »Guten Morgen« zu mir und heftete mir ein Namensschildchen aus Kunststoff an die Hemdbrust. »Ich komme mit«, sagte er.
Die beiden Männer wichen auseinander wie die Aufzugtüren, die sie bewachten. Sie nickten Morris zu und der weniger aggressive wünschte mir einen schönen Tag.
»Ihnen auch, Chef«, sagte ich.
»Reine Vorsichtsmaßnahme«, meinte Morris, als wir nach unten fuhren.
»Wie meinen Vater zu schikanieren? Meine Krankenberichte zu lesen?«
Er zuckte die Achseln. »Hat Sue Ihnen denn nichts gesagt?«
»Ein bisschen. Sie sind nicht bloß ihr Leibwächter, richtig?«
»Aber auch.«
»Sie sind der Aufseher.«
»Sie ist nicht im Gefängnis. Sie kann gehen, wohin sie will.«
»Solange Sie Bescheid wissen und solange sie unter Beobachtung ist.«
»Das ist ein beiderseitiges Abkommen«, sagte Morris. »Wohin wollen Sie, Scotty? Frühstücken?«
»Ein bisschen Luft tanken.«
»Das ist gar keine gute Idee. Sie sind kein Tourist, Scotty.«
»Aber neugierig.«
»Na ja – ich könnte uns einen IDF-Wagen mit den richtigen Aufklebern besorgen. Wir könnten sogar in die Sperrzone, wenn Sie wollen.«
Ich gab keine Antwort.
»Andererseits«, meinte er, »kleben Sie hier ziemlich fest, so wie die Dinge liegen.«
»Gefällt Ihnen, was Sie tun?«
»Das will ich Ihnen gerne erklären«, meinte Morris.
Er lieh sich ein blaues Auto ohne Nummernschild, aber mit den erforderlichen Aufklebern an der Windschutzscheibe und einem ausgefuchsten GPS, welches noch das Armaturenbrett auf der Beifahrerseite beanspruchte. Er fuhr die Lehi-Straße hinunter, während ich immer wieder aus dem Fenster starrte.
Es regnete auch heute wieder, die Dattelpalmen an den Boulevards ließen die Köpfe hängen. Tagsüber waren die Straßen alles andere als leer: An den größeren Kreuzungen war Zivilschutz postiert, überall Polizei- und IDF-Streifen und völlig evakuiert war lediglich die Sperrzone rings um das mutmaßliche Aufsetzgebiet.
Morris fuhr in die Neustadt und bog auf die König-David-Straße ab.
Die Evakuierung eines größeren Stadtgebietes ist mehr als nur die Personenbewegung, obgleich sie das natürlich ist, und zwar in einer kaum noch zu kontrollierenden Größenordnung. Manches ist allerdings technischer Natur. Die Schäden, die ein Chronolith verursacht, sind hauptsächlich auf den anfänglichen Kälteschock zurückzuführen, den sogenannten thermischen Impuls. Nahe genug am Monolithen platzt jeder Behälter mit flüssigem Wasser. Hausbesitzern in Jerusalem hatte man geraten, die Wasserleitungen leer laufen zu lassen, und die städtischen Behörden bemühten sich, die Wasserwerke zu schützen, indem sie den Luftdruck in den Kernbereichen absenkten, obwohl das die Brandbekämpfung erschwerte – und Brände waren unausweichlich, wenn flüchtige Flüssigkeiten und Gase Behältern entkamen, die durch die Kälte rissig oder porös wurden. Die Hauptgasleitungen waren schon abgesperrt. Theoretisch hätte jeder Spülkasten und jeder Gasbehälter geleert und jede Propangasflasche weggeschafft
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