Die Chronolithen
mir folgen?«
»Halbwegs.«
»Wir haben es also mit einer Art Turbulenz zu tun, die nicht so sehr durch Ursache und Wirkung oder gar paradoxes Verhalten gekennzeichnet ist als durch einen Schaum aus Korrelation und Koinzidenz. Man kann nicht nach der Ursache für die Bangkok-Manifestation fahnden, weil sie schlichtweg noch gar nicht existiert, aber man kann nach Anhaltspunkten in der Turbulenz suchen – in den unerwarteten Korrelationen.«
»Und die wären?«
»Als ich den Aufsatz schrieb, habe ich auf Beispiele verzichtet. Aber jemand hat mich so ernst genommen, dass er selbst die Schlüsse daraus gezogen hat. Das FBI recherchierte und nahm alle unter die Lupe, die nach dem Chumphon-Ereignis interviewt worden waren, also die kleinste und umfassendste statistische Erhebung, die sich anbot. Dann erstellten sie eine Datenbank mit den Namen und Lebensläufen von allen Leuten, die sich jemals öffentlich über die Chronolithen geäußert hatten, in der Frühphase vor allem; und von allen, die sich vor Ort – also in Chumphon – wissenschaftlich betätigt hatten, eingeschlossen die Burschen, die die Traktoren gefahren und die Klos installiert hatten; und von allen, die sie nach dem Ereignis verhört hatten. Dann suchten sie nach Verbindungen.«
»Und wurden vermutlich fündig.«
»Es gab schon merkwürdige Verbindungen. Aber die mit Abstand merkwürdigste waren wir beide.«
»Doch nicht wegen Cornell?«
»Zum Teil schon; aber sieh es mal so, Scotty. Da ist eine Frau, die über Tau-Anomalien und Exotische Materie redet, und das nicht erst seit Chumphon. Und die sich seither zur vielbeachteten Expertin für Chronolithen gemausert hat. Und da ist ihr ehemaliger Student, ein alter Freund, der sich rein zufällig am Strand von Chumphon aufhält und den man eine Meile vor dem ersten bekannten Chronolithen verhaftet, und das nur ein paar Stunden nach dem besagten Ereignis.«
»Sue«, sagte ich, »du weißt genauso gut wie ich, dass das nichts zu bedeuten hat.«
»Nicht im kausalen Sinne, das stimmt, aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass es mit dem Finger auf uns zeigt. Der Versuch, die Entstehung eines Chronolithen zurückzuverfolgen, ist vergleichbar mit dem Versuch, einen Pullover aufzutrennen, bevor er überhaupt gestrickt wurde. Es geht nicht. Man erwischt bestenfalls bestimmte Fäden, die die richtige Länge haben oder ähnlich gefärbt sind, und stellt gewisse Vermutungen an, wie sie miteinander verschlungen sein könnten.«
»Und deshalb hat sich das FBI mit meinem Vater befasst?«
»Es gibt nichts, womit es sich nicht befasst. Wir wissen ja nicht, was wirklich von Bedeutung ist.«
»Die Logik der Paranoia.«
»Na ja, genau damit haben wir es zu tun, mit der Logik der Paranoia. Deshalb stehen wir beide unter Bewachung. Nicht, weil man uns einer kriminellen Handlung verdächtigt, jedenfalls nicht im üblichen Sinne. Aber man macht sich Sorgen, was aus uns werden könnte.«
»Wir sind die Bösewichter, meinst du das?«
Sie spähte aus dem Flugzeugfenster und durch die Lücken in der Kumuluswolke auf das Meer tief unten, das sich wie ein polierter blauer Spiegel ausnahm.
»Überleg mal, Scotty. Wer immer dieser Kuin ist, erfunden hat er diese Technologie sicher nicht. Eroberer und Könige studieren selten Physik. Sie benutzen, was sie vorfinden. Jeder könnte Kuin sein, egal wo, aber aller Wahrscheinlichkeit nach wird er diese Technologie einfach stehlen, und wer sagt, dass er sie nicht von uns stiehlt? Vielleicht sind wir aber auch die guten Geister. Vielleicht lösen wir ja das Rätsel. Auch das ist möglich – eine ganz andere Art der Verbindung. Wir sind nicht bloß Gefangene, sonst säßen wir doch hinter Gittern. Man überwacht uns, aber man schützt uns auch.«
Ich blickte in Richtung Cockpit, um zu prüfen, ob uns jemand zuhörte, doch Morris saß ganz vorne und schwatzte mit einer Flugbegleiterin, und Ray war in ein Buch vertieft. »Bis zu einem gewissen Punkt bin ich einverstanden«, sagte ich. »Ich werde vernünftig bezahlt, während viele gar nichts bekommen, und ich bekomme Dinge zu Gesicht, von denen ich nie gedacht hätte, sie je zu Gesicht zu bekommen.« Dass der Job meiner Obsession entgegenkam, ließ ich unerwähnt. »Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich kann nicht versprechen…«
Um jeden Preis dabei zu bleiben, wollte ich sagen. Ein Ministrant wie Ray Mosely zu werden. Nicht, wenn die Welt zum Teufel ging und ich eine Tochter zu beschützen hatte.
Sue sprang mir mit
Weitere Kostenlose Bücher