Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
sein müssen. Doch ohne lückenlose Kontrolle konnte man solche Maßnahmen nicht garantieren. Und nahe am Ort des Geschehens würde der thermische Impuls jede Flasche Milch in einen lebensgefährlichen Sprengkörper verwandeln.
    Ich schwieg, als wir an den geschlossenen Geschäften vorbeifuhren, deren Schaufenster kreuz und quer mit Klebeband gesichert waren; an den finsteren Wolkenkratzern, am König-David-Hotel, das so leblos war wie ein Leichnam.
    »Eine leere Stadt ist etwas Unnatürliches«, sagte Morris. »Gottverlassen, wenn Sie wissen, was ich meine.« Er bremste ab, winkte den Soldaten am Kontrollpunkt, die sich die Aufkleber besahen. »Glauben Sie nicht bloß, dass es mir Spaß macht, Ihnen und Sue nachzuspionieren, Scotty.«
    »Sollte ich jetzt beruhigt sein?«
    »Ich mache lediglich Konversation. Aber Sie müssen doch zugeben, dass es sinnvoll ist. Die Logik ist nicht von der Hand zu weisen.«
    »Finden Sie?«
    »Sie haben doch Nachhilfe bekommen.«
    »Das mit der Koinzidenz? Was Sue eine ›Tau-Turbulenz‹ nennt? Ich weiß nicht, wie viel ich davon glauben soll.«
    »Das«, sagte Morris. »Aber auch wie es für Kongress und Regierung aussieht. Zwei unbestreitbare Fakten über die Chronolithen, Scotty. Erstens weiß niemand, wie man sie macht. Zweitens wird die Methode irgendwo ausbaldowert, eben jetzt, während wir uns unterhalten. Also geben wir Sue und ihresgleichen die Mittel, um herauszufinden, wie man so ein Ding baut, und damit tun wir vielleicht genau das Falsche: Das Wissen wird freigesetzt, gerät womöglich in die falschen Hände und vielleicht wäre nichts von alledem passiert, hätten wir die Büchse der Pandora nicht geöffnet.«
    »Das ist ein Zirkelschluss.«
    »Wird es dadurch falsch? Wollen Sie in der gegenwärtigen Lage eine Möglichkeit ausschließen, weil sie keinem hübschen, hieb- und stichfesten Syllogismus folgt?«
    Ich zuckte die Achseln.
    Er sagte: »Ich will mich nicht für die Art und Weise entschuldigen, wie wir Ihre Vergangenheit durchleuchtet haben. Das gehört zu den Dingen, die man bei einem nationalen Notstand einfach tut, das ist wie Menschen einberufen oder Lebensmittel requirieren.«
    »Ich wusste gar nicht, dass ich einberufen wurde.«
    »Versuchen Sie es so zu sehen.«
    »Weil ich mit Sue Chopra in Cornell war? Weil ich zufällig am Strand von Chumphon war?«
    »Eher, weil wir alle durch ein Seil verbunden sind, das wir kaum wahrnehmen.«
    »Das… klingt sehr poetisch.«
    Morris schwieg eine Zeit lang. Die Sonne brach durch Wolkenlücken, Lichtpfeiler wanderten über die judäischen Berge.
    »Scotty, ich bin ein vernünftiger Mensch. Jedenfalls halte ich mich dafür. Sonntags gehe ich immer noch zur Kirche. Wer fürs FBI arbeitet, ist deshalb noch kein Monster. Wissen Sie, was das moderne FBI ist? Das moderne FBI hat nichts mehr mit Polizei und Räubern und Trenchcoats und dem ganzen Mist zu tun. Ich habe zwanzig Jahre Schreibtischarbeit in Quantico hinter mir. Ich habe mein Soll auf dem Schießplatz und auf der Matte absolviert, aber im Einsatz habe ich noch nie einen Schuss abgegeben. Wir sind gar nicht so verschieden, Sie und ich.«
    »Was wissen Sie schon von mir.«
    »Okay, Sie haben Recht. Ich mutmaße; aber gehn wir mal davon aus, dass wir beide ganz normale Menschen sind. Ich für meinen Teil glaube an nichts Übernatürliches, es sei denn, es steht in der Bibel, und daran glaube ich auch nur jeden siebten Tag. Man hält mich für nüchtern und vernünftig; ja geradezu für langweilig. Finden Sie, dass ich langweilig bin?«
    Letzteres fand meine Zustimmung.
    »Aber ich habe Träume, Scotty«, sagte er. »Dieses Chumphon-Ding habe ich zum ersten Mal im Fernsehen in Washington D.C. gesehen. Das Komische ist, ich kannte es. Weil ich es schon mal gesehen hatte. Und zwar im Traum. Nichts Konkretes, keine Hellseherei, nichts Greifbares. Aber in dem Moment, als ich es sah, da wusste ich, dass ich mich für den Rest meines Lebens damit herumschlagen würde.«
    Er starrte stur geradeaus. »Es wäre gut, wenn sich die Wolken bis morgen Abend verzogen hätten«, sagte er. »Gut für die Beobachter.«
    »Morris«, sagte ich, »stimmt das, was Sie da reden?«
    »Ich würde Sie nicht verarschen.«
    »Warum nicht?«
    »Warum nicht? Na ja, vielleicht weil ich Sie auch schon kannte, Scotty. Aus meinen Träumen, meine ich. Gleich, als ich Sie sah. Sie und Sue.«

 
NEUN
     
     
    Wenn ich zurückblättere, scheint es mir, als habe ich zu viel über mich gesagt und nicht

Weitere Kostenlose Bücher