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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Skepsis eines moslimischen Geistlichen, der den Vatikan besucht. Er stellte ein paar Fragen. Er bewunderte die frische druckwellensichere Verglasung der Hotelfenster und äußerte sich anerkennend über die Hingabe der Männer und Frauen an den Apparaturen. Er war zuversichtlich, dass wir in den kommenden Stunden dazulernen würden, falls, was Gott verhüten möge, die vorhergesagte Tragödie tatsächlich eintrete. Dann wurde er treppauf eskortiert, um einen Blick auf den exotischen Antennenwald zu werfen, die Kameraleute in seinem Schlepptau tranken hastig den letzten Kaffee aus ihren Pappbechern.
    Das alles würde man freilich noch für den Endverbraucher aufbereiten, eine Demonstration der obrigkeitlichen Ruhe angesichts der drohenden Krise.
    Unsichtbar und unvermeidlich schmolz die Nadel ins Minkowski-Eis. Unsere extremen Breitband-Datenströme ließen die Hotelleitungen heißlaufen; trotzdem bekam ich an jenem Tag einen Anruf: von Janice, sie teilte mir mit, mein Vater sei im Schlaf gestorben.
    An jenem Tag hatte es fast überall in Maryland geschneit – sechs Zoll Pulverschnee. Mein Vater trug eine winzige Funkboje, die ein Alarmsignal abgesetzt hatte, als sein Herz versagte, doch als die Ambulanz eintraf, war es für eine Wiederbelebung zu spät gewesen.
    Janice bot an, die notwendigen Dinge zu erledigen, während ich in Übersee war (andere Familienmitglieder gab es nicht mehr). Ich war einverstanden und dankte ihr.
    »Es tut mir Leid, Scott«, sagte sie. »Ich weiß, dein Vater war schwierig. Trotzdem – es tut mir Leid.«
    Ich gab mir Mühe, auf eine angemessene und sinnvolle Weise zu trauern.
    Nichtsdestoweniger ertappte ich mich bei der rhetorischen Frage, wie viel seelische Erschütterung es ihm erspart hatte, sich zu diesem kritischen Zeitpunkt davonzustehlen, und zu welchem materiellen Tribut man ihn nicht mehr heranziehen würde.
     
    Als die Dunkelheit hereinbrach, klopfte Morris an meine Tür und brachte mich zurück zur Technik. Die Monitore warfen blaues Licht in den Raum. Morris und ich wurden als Beobachter auf die Stuhlreihe an der Rückwand verwiesen, wo wir niemandem im Weg waren. Der Raum war heiß und trocken, ein Bataillon tragbarer Heizöfen glühte bereits grimmig vor sich hin. Die Techniker an den Konsolen schienen zu warm angezogen und schwitzten.
    Draußen erlosch der wolkenlose Himmel zu Tinte. Die Stadt lag unnatürlich still unter uns. »Es dauert nicht mehr lange«, flüsterte Morris. Es war das erste Mal, dass man die Ankunft eines Chronolithen mit einiger Genauigkeit vorhergesagt hatte, obgleich die Berechnungen immer noch approximativ waren, der Countdown diente mehr der Konzentration. Sue kam vorbei und sagte: »Haltet die Augen offen.«
    »Und wenn gar nichts passiert?«, sagte Morris.
    »Dann verliert die Likkud-Partei die Wahl. Und wir unsere Glaubwürdigkeit.«
    Die Minuten verstrichen. Diejenigen von uns, die keine Schutzkleidung trugen, bekamen Steppjacken ausgehändigt. Morris lehnte sich wieder aus dem Dunkel, er schwitzte und war sichtlich nervös. »Der beste Aufsetzpunkt liegt im Geschäftsviertel. Interessante Wahl. Verschont die Altstadt und den Tempelberg.«
    »Kuin als Cäsar«, sagte ich. »Verehrt ruhig eure Götter, aber beugt euch dem Eroberer.«
    »Nicht das erste Mal für Jerusalem.«
    Aber vielleicht das letzte Mal. Die Chronolithen hatten die apokalyptischen Ängste geweckt, die im 20. Jahrhundert der Atombombe gegolten hatten: Eine neue Technologie hatte den Einsatz bei Konflikten erhöht, die Parade von Imperien, die kamen und gingen, schien in die letzte Runde zu gehen. Was jetzt und hier eine allzu simple Einschätzung war. Schließlich war das Tal von Megiddo nur ein paar Meilen entfernt. [xxii]
    Wir wurden ermahnt, die Reißverschlüsse an unseren Jacken trotz der Hitze nicht zu öffnen. Sue wollte den Raum so heiß wie irgend möglich, als Puffer gegen den Kälteschock.
    Durch eingehende Analyse der bisherigen Manifestationen wussten wir in etwa, was uns erwartete. Ein Chronolith verdrängt beim Auftauchen weder Luft noch Grundgestein; er transformiert diese Materie und verleibt sie sich ein. Die Druckwelle ist das Ergebnis der, wie Sue sie nannte, »Kältestrahlung«. Innerhalb von wenigen Metern rings um das Kuin-Monument kondensiert die Luft, friert aus und fällt zu Boden; in weniger als einer Sekunde geschieht mit der schlagartig nachrückenden Luft Ähnliches. Innerhalb eines geringfügig größeren Bereichs gefrieren die gasförmigen

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