Die Clans von Stratos
über den Fenstern erstreckte sich eine prächtige, säulenbestandene Veranda, die Maia bei ihrer Ankunft kurz gesehen hatte. Die beiden Gefangenen verglichen die Positionen bestimmter Orientierungspunkte und stellten fest, daß Rennas Fenster direkt um die Ecke lag und nach Osten blickte, während Maias Zelle nach Südosten ausgerichtet war. Wenn sie sich in die andere Richtung wandte, konnte Maia gerade noch die Torrampe ausmachen, einsam und mit Präriestaub bedeckt.
Maia sprudelte vor Ideen. Sie erzählte Renna von ihren Experimenten mit dem aufgeribbelten Teppichgarn und dem Herstellen eines Seils. Renna lobte zwar ihren Enthusiasmus, gab aber zu bedenken, daß man aus dieser Höhe unmöglich ein Seil hinauswerfen konnte, das laienhaft von Hand gedreht war.
Wenn sie sich ihre Arbeit anschaute, mußte sie Renna recht geben. Dennoch fuhr Maia fort, jeden Tag etwas von den groben Fasern loszudröseln und sie zu einem fingerdicken Strang zusammenzudrehen, wobei sie versuchte, aus dem Gedächtnis die Methoden der Matrosen auf der Wotan nachzuahmen. Es ist jedenfalls eine Beschäftigung, dachte sie. Während Renna weiterhin ihre mitternächtlichen Hilferufe funkte, wollte Maia auch etwas beitragen, selbst wenn sie nur ein Seil flocht.
Natürlich versteckte sie alle verdächtigen Dinge – die auf das Seil und ihren Kontakt zu Renna hinwiesen – vor den Wärterinnen. Bei den Mahlzeiten erzählte sie den Frauen, wie sehr das Spiel des Lebens sie faszinierte und wie dankbar sie war, in diese ausgeklügelte Welt vorgedrungen zu sein. Die glasigen Augen zeigten ihr, was sie erwartet hatte. Alles, was die Guels wollten, war Ruhe und Routine. Und dazu verhalf Maia ihnen gern.
Deshalb war sie überrascht, als sie eines Tages mitten am Nachmittag, lange vor der Essenszeit, das Schlüsselgeklapper hörte. Sie schaffte es gerade noch, eine Decke über ihre Arbeit zu werfen und aufzustehen, bevor die Tür sich öffnete. Die beiden Guel-Wärterinnen, die hereintraten, wirkten angespannt und hektisch. Als eine bekannte Gestalt hinter ihnen hervortrat, verstand Maia auch, warum.
Tizbe Beller! Ihre ehemalige Assistentin aus dem Gepäckwagen sah sich in Maias Zelle um, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Ein Ausdruck leicht amüsierten Ekels zog über ihr junges Gesicht, während sie das schweißfleckige Handtuch betrachtete, das neben der rissigen Waschschüssel hing, und den zugedeckten Nachttopf daneben. Sie rümpfte die Nase, als könnte sie den Geruch nicht aushalten. Von einer Var erwartete man nicht einmal, daß sie ihn wahrnahm.
Maia richtete sich auf. Na los, verspotte mich, Tizbe. Ich habe mich hier drinnen fit gehalten und einigermaßen zivilisiert gelebt. Tauschen wir doch die Plätze, dann sehen wir, ob du es besser machst!
Offenbar blieb ihr Trotz nicht verborgen. Tizbe blieb spöttisch-amüsiert, aber ihr Gesichtsausdruck änderte sich. »Nun, die Gefangenschaft scheint dir nicht geschadet zu haben, Maia. Jedenfalls nicht dort, worauf es ankommt. Du bist ja regelrecht aufgeblüht!«
»Ach, hau doch ab, geh zurück auf die Alte Erde, Tizbe. Und nimm deine Jopland- und Lerner-Freundinnen mit.«
Die Klonfrau tat schockiert. »Was für eine Ausdrucksweise! Wenn du so weitermachst, bist du bald zu ungehobelt für vornehme Gesellschaft.«
Maia lachte bitter. »Du kannst dir deine vornehme Gesellschaft sonstwohin stecken…«
Aber Tizbe nahm ihr wieder einmal den Wind aus den Segeln, indem sie ein Gähnen unterdrückte und eine abwehrende Handbewegung machte. »Oh, spar dir das bitte für später. Ich habe einen anstrengenden Ritt hinter mir und muß früh wieder aufbrechen. Aber wir werden sehen, vielleicht ziehe ich mich vorher um und schaue noch mal bei dir vorbei, damit ich mich verabschieden kann.«
Zu Maias Entsetzen wandte sie sich zum Gehen. »Aber… bist du nicht gekommen, um…«
Tizbe drehte sich an der Tür um und sah zurück. »Um dich zu verhören? Dich zu foltern? Ach, das wäre wohl genau das Richtige für einen von den Schundromanen, die du so gerne liest, wie man mir berichtet. Schurken müssen immer hämisch grinsen und sich die Hände reiben und Tiraden auf ihre armen Opfer loslassen.
Tut mir leid, daß ich dich enttäuschen muß. Wenn ich Zeit hätte, würde ich gern versuchen, der Rolle gerecht zu werden. Aber mal ehrlich – besitzt du denn überhaupt Informationen, die für mich wichtig sein könnten? Welchen materiellen Wert hätte es für mich, wenn ich noch eine
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