Die Clans von Stratos
schwieriges Stadium, denn die meisten Lamai-Sechser schienen sich unweigerlich und allen mütterlichen Warnungen zum Trotz auf eine große, stattliche Frau aus dem Yort-Wong-Handelsclan zu fixieren… was unangenehm war, weil die Yort-Wongs seit Generationen immer wieder mit den Lamai in Auseinandersetzungen verwickelt waren.
Daß sie vorher wußten, was ihnen bevorstand, bewahrte die Lamai-Sechser nicht davor, in dieser schwierigen Herbstzeit zu jammern und zu klagen. Glücklicherweise hatten sie die Initiationszeremonie vor sich, was sie etwas ablenkte. Doch wie konnten die kurzlebigen Zuwendungen eines Mannes die Qualen einer unerwiderten Besessenheit ausgleichen? Selbst die Sechser, die das Glück hatten, für das Stimulieren auserwählt zu werden, gingen aus der unglücklichen Yort-Wong-Episode verändert und härter hervor. Danach trugen die Lamai-Frauen ihre emotionale Unverwundbarkeit wie einen Panzer. Sie machten Geschäfte mit ihren Kunden, sie arbeiteten mit ihren Verbündeten zusammen, sie trafen komplizierte geschäftlich-sexuelle Vereinbarungen mit den Seeleuten. Aber wenn es ums Vergnügen ging, stellten sie Profis ein.
Was Freundschaft und Kameradschaft anbelangte, so hatten sie einander.
Für Maia und Leie war es von Anfang an anders gewesen. Da sie Vars waren, konnten sie ihren Lebenslauf nicht einmal in groben Zügen vorhersehen. Jedenfalls umfaßten Herzensgefühle alles zwischen fast brünstiger körperlicher Leidenschaft bis hin zur durch und durch platonischen Sehnsucht, einfach nur in der Nähe der Auserwählten zu sein. In populären Liedern und romantischen Geschichten wurde immer wieder betont, letzteres wäre edler und erhabener, aber alle – abgesehen von einigen wenigen Ketzerinnen – stimmten darin überein, daß es an Berührungen nichts auszusetzen gab, wenn beide Beteiligten es ernst meinten. Die körperliche Seite des Herzensgefühls zwischen zwei Mitgliedern des weiblichen Geschlechts wurde als sanft und fürsorglich dargestellt und hatte eigentlich überhaupt keine Ähnlichkeit mit Sex.
Maias eigene Erfahrung war bis jetzt rein theoretisch, und auf diesem Gebiet war Leie nicht wagemutiger gewesen. Selbstverständlich hatten die Zwillinge Gefühle herzlicher Zuneigung – gegenüber Mitschülerinnen oder Kindern aus der Stadt, mit denen sie sich anfreundeten, auch gegenüber manchen Lehrerinnen – aber es war nichts Frühreifes oder Tiefergehendes gewesen. Seit sie fünf geworden waren, hatten sie einfach keine Zeit mehr dafür gehabt.
Jetzt jedoch fühlte Maia etwas Stärkeres. Zwar wußte sie genau, wie sie dieses Gefühl benennen mußte, aber sie wagte es sich nicht einzugestehen. In Renna hatte sie eine freundliche, liebevolle Seele gefunden, die ein Mädchen nicht als wertlos aburteilte, nur weil es eine bescheidene Vartochter war. Es spielte kaum eine Rolle, daß sie das Objekt ihrer Fixierung noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Maia schuf sich in ihrer Phantasie ein Bild von ihr: eine Savante oder höhere Staatsbedienstete aus einer der fernen eleganten Städte des Landungskontinents. Damit erklärte sie sich Rennas steife, aristokratisch wirkende Ausdrucksweise. Ganz bestimmt stammte sie aus einem edlen Clan. Aber als Maia danach fragte, antwortete Renna nur:
KOMME AUS EINER UHRMACHERFAMILIE
HABE SIE LANGE NICHT GESEHEN
ANSCHEINEND KEIN ZEITGEFÜHL MEHR
Maia fand es immer schwer zu beurteilen, ob Renna es ernst meinte oder sie nur necken wollte. Aber sie meinte es nie böse. Auch bei dem Thema, wie sie in dieses Gefängnis gekommen war, zeigte sich Renna nicht mitteilsamer.
WAR ALLEIN AUF REISEN
BELLERS HABEN DAS AUSGENUTZT
Bellers! Die Familie, zu der auch Tizbe gehörte! Der Freudenclan, der mit heiklen Transporten und vertraulichen Dienstleistungen ein lohnendes Nebengeschäft betrieb. Also hatten Maia und Renna einen gemeinsamen Feind! Maia versuchte, sich nach ›CY‹ und ›GRVS‹ zu erkundigen, in denen sie Mitglieder von Rennas Clan oder Verbündete vermutete, aber ihre Mitgefangene antwortete nur, es gebe einige Dinge, die Maia nicht zu wissen brauchte.
Doch das hinderte sie nicht daran, des öfteren Fluchtpläne zu schmieden.
Zuerst einmal mußten sie herausfinden, in welchem Verhältnis zueinander ihre Zellen lagen. Maia kletterte in den Fensterschacht und verrenkte sich fast den Hals, sah aber nur eine endlose Reihe von Fensterschlitzen, jeder genau wie der weitere. Vermutlich lagen dahinter andere Lagerräume. Etwa fünf Meter
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