Die Clans von Stratos
Wagemütler-Spionin ausquetschen müßte?«
Maia starrte sie verständnislos an. »Noch eine was?«
Tizbe griff in ihren Ärmel und zog ein zerfetztes zusammengefaltetes Stück Papier hervor. Nach einem Augenblick erkannte Maia das Flugblatt, das sie in Lanargh von der ernsthaften jungen Ketzerin mit der Brille bekommen hatte. Also waren die Frauen, die sie gefangengenommen hatten, nach Holly Lock gefahren und hatten dort Maias Habseligkeiten durchwühlt. Maia machte sich nicht die Mühe, ihre Wut zu zeigen.
»Die Schwestern des Wagemuts… du glaubst also, ich bin eine von denen – wegen des Flugblatts?«
Tizbe zuckte die Achseln. »Es war allerdings seltsam, daß eine Spionin so eklatantes Beweismaterial mit sich herumschleppt. Wenn wir jedoch deinen Anruf aus Jopland mit in Betracht ziehen, dann reicht das aus, um gewisse Vorkehrungen ratsam erscheinen zu lassen. Du hast dafür gesorgt, daß sich der Blick offizieller Kreise früher hierher gewandt hat, als wir erwartet haben, und dafür wirst du bezahlen.« Sie lächelte. »Doch wir haben die Dinge unter Kontrolle. Wenn es nicht um dringende Geschäfte ginge, hätte ich die weite Reise nicht gemacht.
Doch wie die Dinge stehen, habe ich mich verpflichtet gefühlt, nach dir zu sehen, Maia. Es freut mich, daß du nicht in Selbstmitleid zerfließt, wie ich es erwartet hätte. Vielleicht unterhalten wir uns einmal über deine Zukunft, wenn alles geklärt ist. Möglicherweise gibt es ein Plätzchen für eine Var wie dich…«
»Bei deiner Verbrecherbande?« unterbrach Maia sie. »Ihr…« Sie versuchte, sich an die Sätze zu erinnern, die sie in der Lerner-Feste aus Thallas Radio gehört hatte. »Ihr Ausbeuterinnen!«
Grinsend schüttelte Tizbe den Kopf. »Zeigst du also endlich deinen wahren radikalen Kern? Nun, Einsamkeit und Grübelei kann manche Einstellung verändern. Ich werde dir noch ein paar Bücher schicken lassen, damit dir klar wird, wie vernünftig das ist, was wir tun. Daß es zum Guten von Stratos und aller Frauen geschieht.«
»Danke«, entgegnete Maia scharf. »Den Perkinitischen Weg kannst du weglassen, den hab ich schon gelesen.«
»Ach ja?« Tizbe zog die Augenbrauen hoch. »Und?«
Maia hoffte, daß ihr Lächeln mitleidig wirkte.
»Ich glaube, Lysos hätte ein krankes Gehirn wie deines gern unter ihrem Mikroskop studiert, um zu sehen, was sie falsch gemacht hat.«
Zum ersten Mal zeigte sich Tizbes Reaktion nicht unter einer kalkulierten Maske. Sie funkelte Maia wütend an. »Genieße deinen Aufenthalt hier, Varkind!«
Die Wärterinnen begleiteten Tizbe hinaus und wichen Maias Blicken aus, während sie die Tür schlossen und mit dem harten, metallischen Klirren von Lerner-Stahl den Riegel vorschoben.
Tizbe interessiert sich nicht im geringsten für mich. Ich bin ihr bloß ein Dorn im Auge, den sie loswerden will.
Es war nur ein weiterer Schlag für Maias Stolz, der ihr bestätigte, wie unwichtig sie in dieser Welt war.
Also war es nicht ich, wegen der sie den langen Weg hierher gemacht hat, sondern etwas ›Dringendes‹.
Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen – es ist Renna!
Die Möglichkeit, daß ihre Freundin in Gefahr schwebte, versetzte Maia in Angst und Schrecken. Sie rannte zur Wand, wo das Spiel bereits eingesteckt war, aber dann hielt sie inne. Die Entfernung zwischen ihrer und Rennas Zelle war nicht sehr groß. Tizbe konnte schon vor ihrer Tür stehen, ehe Maia eine Warnung übermittelt hatte, und wenn Tizbe das Klicken hörte, würde schnell herauskommen, daß die Gefangenen miteinander kommunizierten. Maia stellte sich vor, wie ihr Leben aussähe, wenn sie wieder ganz allein, von allem abgeschnitten existieren mußte. Eine abgrundtiefe, endlose Leere erfüllte sie, wie damals, als sie begriffen hatte, daß Leie nicht mehr da war.
Vor dem Spielbrett zu sitzen, verstärkte nur das Gefühl der Ohnmacht. Also stand sie auf, kletterte auf ihre Kistenpyramide und kroch in die Fensternische. Dann streckte sie den Kopf über den steinernen Vorsprung hinaus, um zum Tor hinunterzuspähen. Dort sah sie mehrere Gestalten, die sich um eine Gruppe angebundener Pferde kümmerte. Höchstwahrscheinlich Tizbes Eskorte.
Maia stieg wieder herunter. Weil sie nicht nutzlos umherwandern wollte, setzte sie sich lieber und nahm die Arbeit an dem Strick wieder auf. Sie legte ihren Stift jedoch in greifbare Nähe, denn sie hoffte inständig auf das Klicken, das ihr versichern würde, daß Renna wohlbehalten war. Endlos zog
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