Die Cromwell Chroniken 02 - Grabes Hauch
beste Freunde, legte er ihr in ungezwungener Vertrautheit einen Arm um die Schultern, ehe er weitersprach: „Die Farben der Laternen sind das Entscheidende, wisst ihr? Ihr müsst eure Farbe wählen und wenn ihr dann das dazugehörige Haus betretet, könnt ihr gar nichts falsch machen.“
„Wenn du nicht gleich deinen Arm da wegnimmst, Sportsfreund, dann wirst du den Anblick der bunten Laternchen durch deine zugeschwollenen Augen nicht mehr genießen können“, erklang es bissig von Valerian.
Der Angesprochene lachte herzhaft und zog die Hand zurück. Sofort stand er neben dem Unsterblichen und versetzte ihm einen freundschaftlichen Stoß.
„Bitte entschuldige, mein Freund!“, sprach er schnell und ließ das R in „Freund“ rollen. „Natürlich werde ich keine Hand mehr an deine zarte Wüstenblume legen. Doch vielleicht gibt es noch andere Schönheiten, die du hier entdecken möchtest?“
Diesmal war sein Zwinkern anrüchiger.
Lindas Brauen schossen in die Höhe.
„Wovon genau reden Sie da? Wo sind wir?“
„Na, in der Lichtergasse!“, verkündete der Fremde erfreut und breitete einladend die Arme aus.
Großartig!
Antonella umschloss Tamaras Linke mit ihren schrumpeligen Händen und ihre Lider sanken nach unten. Ihre bereits runzelige Stirn legte sich noch stärker in Falten. Die Haut der Alten fühlte sich warm an und ihre Berührung kribbelte leicht.
Das bilde ich mir sicher ein.
Unerwartet riss Antonella ihre Augen auf und zog Tamara mit einem Ruck nach unten. Die Hexe sackte auf die Knie.
„Was zum …?!“, wollte sie bereits losfluchen, als sie des Anblicks gewahr wurde, den ihr die Alte nun bot. Antonellas Augen waren schneeweiß und geweitet. Ihre Hände umklammerten fest Tamaras Hand. Ein angespannter Ausdruck trat in ihr Gesicht.
Sie ist eine Seherin? Ich dachte, dass Magie hier verboten ist?
„Du strebst in schnellen Schritten deinem Untergang entgegen“, sagte die alte Frau. Doch es war nicht mehr ihre Stimme. Fremd, verzerrt, tief und – das musste sich Tamara eingestehen – unheimlich klang es aus ihrem Schlund. Dass sie der Alten nun gezwungenermaßen so nah war, verbesserte das Gefühl nicht, das sich in ihrer Magengegend auszubreiten begann: Angst.
„Bezwinge dein Temperament oder es wird dich ins Verderben führen!“, sprach die Wahrsagerin. Ihr Griff begann zu schmerzen.
„Sie tun mir weh“, presste Tamara hervor.
Ihr Herz begann schneller zu klopfen.
Die spinnt doch, die Alte! Das erfindet sie einfach, um mich zu schocken! Es ist ein Trick! Die verplempert nur meine Zeit. Hofft vermutlich, dass ich doch noch Geld lockermache, aber da kann sie lange warten.
Sie versuchte sich zu lösen, doch Antonellas Hände hielten sie eisern umklammert. Tamara konnte sich nicht einen Millimeter rühren. Der Mundgeruch der Alten stieg ihr in die Nase und sie lehnte sich angeekelt zurück. Sofort packte die Frau Tamara fester und zog sie erbarmungslos zurück.
„Hör mir zu! Öffne deine Augen!“, forderte die Alte mit ihrer schaurigen Stimme.
„Ich höre sehr gut und ich sehe im Moment mehr als mir lieb ist. Also lassen Sie mich gefälligst los, ich will gehen!“
Verzweifelt kämpfte sie gegen den Griff der Frau an, doch es war hoffnungslos. Hilfesuchend blickte sie nach rechts und links, doch keiner der Passanten schenkte ihr Beachtung. Entweder waren die Leute Antonellas merkwürdiges Verhalten gewöhnt oder sie interessierten sich grundsätzlich nicht für Fremde.
Das ist das Problem: Ich bin hier fremd. Keiner von denen hat einen Grund, mir zu helfen. Ich bin denen einfach egal.
„Lassen Sie mich los!“, wiederholte Tamara – und diesmal schwang ein flehender Unterton mit.
„Nein! Du willst nicht sehen, was direkt vor dir ist. Zum Greifen nah liegt die Wahrheit, doch du hast beschlossen, sie zu übergehen. Es ist gefährlich hier für dich! Du musst fort von hier!“
Tamara fixierte die Seherin beunruhigt.
„Ich kann hier nicht weg. Meine Freunde und ich müssen jemanden finden.“
„Er ist nicht mehr hier. Er hat den Markt schon längst wieder verlassen. Ihr werdet ihn nicht finden.“
„Wenn du weißt, wo er ist, dann sag es mir!“
„Er wird deinen Weg kreuzen, wenn der Mond sein Antlitz verhüllt hat.“
„Und wo? Wo werde ich ihn finden?“
Die Alte schwieg einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf.
„Meine Sicht ist versperrt. Du musst ihn selbst finden.“
„Und wie soll ich das machen? Er könnte überall sein! Davon mal abgesehen,
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