Die Cromwell Chroniken: Kaltes Feuer
sehen, doch kein gewöhnlicher Mann. Er hatte Bocksbeine und Hörner auf dem Kopf.
Die Wicca beten Satan an! Hm … Im Falle von Tamara erklärt das so
einiges.
Valerian konnte sich ein fieses Grinsen nicht verkneifen.
„Der gehörnte Gott!“, verkündete Prof. Foirenston laut über das allgemeine Murmeln des Kurses hinweg. „Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es sich keineswegs um Satan, Luzifer oder einen sonstigen Teufel handelt. Der Wicca-Glaube kennt keine Figur des Bösen. Die Vorstellung eines gehörnten Gottes ist ebenfalls bei Weitem älter als das Christentum. Die ersten Überlieferungen des Gehörnten fand man in Form von Höhlenmalereien.“
Sie hatte die volle Aufmerksamkeit zurückerlangt.
„Der Gott der Wicca ist genau wie die Göttin zyklisch zu verstehen. Die beiden sind ein Liebespaar. Während sie den lunaren Kreislauf widerspiegelt, symbolisiert er den solaren Jahresrhythmus. Wir werden das auch später noch bei den Feiertagen sehen. Jene sind zwischen Gott und Göttin aufgeteilt, wobei die hohen Feiertage der Göttin zugeordnet wurden.“
Sie schmunzelte kurz und die Studentinnen gönnten sich ringsum ein selbstgefälliges Grinsen.
„Dies mag auch der Grund sein, warum sich manche Feministinnen vom Wicca-Glauben angesprochen fühlen. Obwohl es ein duales Glaubenssystem ist, herrscht die Göttin in einem Matriarchat.“
Eine Hand schoss in die Luft und gleichzeitig begann ihre Besitzerin zu sprechen: „Professor, ist es nicht auch so, dass aus diesem Grund jeder Konvent nur Hohepriesterinnen hat und keine Männer Macht besitzen?“
Valerian war nicht der einzige Student, der die Augen verdrehte. Er konnte Cendrick leise lästern hören und fühlte sich ihm plötzlich herzlich zugewandt.
„Das stimmt so nicht, Tamara. Es gibt Konvente oder Coven, die ausschließlich Frauen als Mitglieder haben. Es gibt aber genauso gut auch männliche Mitglieder, Wicca, und jene können auch Priester sein. Das Hohepriesteramt wird jedoch in der Tat am häufigsten von Frauen ausgeübt.“
Valerian wusste, dass es fies war, aber er konnte sich des guten Gefühls nicht erwehren, das sich nach diesem Tamara-Dämpfer einstellte.
„Kommen wir zurück zu unserem jungen Gott … Wie ich bereits sagte, entwickelt er sich auch zyklisch, daher treffen wir bei ihm ebenfalls drei Aspekte an, die sich parallel zur Göttin verhalten. Der erste Aspekt ist der Gehörnte, auch ,Junger Jäger‘ genannt. Er ist der Gott des Waldes, der Jäger und Sammler und kümmert sich um die Belange von Mensch und Tier gleichermaßen. Er selbst ist auch sowohl Mensch als Tier. Ein Beispiel wäre Freyr. Er ist sowohl Bruder als auch Liebhaber der vorher genannten Freyja.“
Ein „Uargh!“ und „Iiieeeh!“ ging durch den Raum.
Prof. Foirenston hob missbilligend die Brauen.
„Heutzutage ist Inzest verboten. In früheren Zeiten sahen die Menschen jedoch nichts Anstößiges daran, ja, es war teilweise sogar notwendig, damit einzelne Sippen nicht ausstarben. Etwas mehr Toleranz für die Dinge, die uns fremd sind, wäre angebracht.“
Ihr Blick brachte alle zum Schweigen. Einige Studenten rutschten unwohl auf ihren Stühlen herum.
„Fahren wir also fort: Ein anderer Name für ihn wäre Cernunnos. Der Name ist mit dem Wort ,cornu‘ verwandt, was soviel heißt wie ,Horn‘. Abgekürzt heißt er ,Cerne‘, was sich zu ,Herne‘ wandelte. Seine Beziehung zu der jungfräulichen Göttin existiert nur insofern, als dass Herne nach Diana sucht. Der Jäger Herne ist bei uns bekannter als die anderen zwei Götter. Otto Nicolai komponierte ,Die lustigen Weiber von Windsor‘. In dieser weltbekannten Oper kommt eine Ballade vor, die vom Jäger Herne handelt. Sie sehen also, dass Mythologie und alte Sagen uns nie verlassen. In irgendeiner Form leben sie weiter. So hat die frühmittelalterliche Kirche dem Teufel auch bewusst das Aussehen des Gehörnten, ja, sogar dieselbe Bezeichnung gegeben. Warum? Die Heiden kannten bereits den Gehörnten als einen Naturgott und verehrten ihn oder opferten ihm. Die damalige Kirche wusste, dass man schwer Neues schaffen, jedoch leicht Altes umdeuten konnte. Sie erklärten einfach, dass ihr bisheriger Glaube falsch und der Gehörnte in Wirklichkeit Luzifer oder Satan sei, der die Menschen verderben wolle.“
Es war still geworden in Prof. Foirenstons Kursraum. Alle hörten ihr atemlos zu und auch Valerian musste sich eingestehen, dass ihn der Wicca-Kult immer mehr interessierte. Das einzige
Weitere Kostenlose Bücher