Die Cromwell Chroniken: Kaltes Feuer
die Kämpferin. Auch hier kann man der Liste noch viele Attribute hinzufügen. Von dem lateinischen Wort für ,Mutter‘ – also ‚Mater‘ – stammt das Wort ,Materie‘ ab. Aus diesem Grund wird sie auch als die ,Erdenmutter‘ bezeichnet. Der Glaube an eine Erdenmutter war und ist unter den Naturvölkern weit verbreitet. Zwei Beispiele für diesen zweiten Aspekt sind Demeter und Pachamama bzw. Mamapacha. Demeter wurde von den Griechen verehrt. Ihr Name bedeutet übersetzt ‚Das Tor zum Geheimnis des Weiblichen‘. Pachamama ist eine Göttin, die von den Völkern in Peru und Bolivien vor der Zeit der Inkas verehrt wurde. Auch hier möchte ich noch einmal unterstreichen, dass ich nur einen kleinen Ausschnitt präsentiere. Wenn das Thema Sie interessiert, dann werfen Sie einen Blick auf die Literaturliste und in unsere Bibliothek.“
Sie klickte eine neue Folie an. Zu sehen war ein altes Weib mit Buckel.
Genau so, wie man sich eine Hexe eben vorstellt.
Doch diese war nicht einfach nur alt, sie hatte auch eine merkwürdige Ausstrahlung, als könnte sie die Gedanken ihres Gegenübers lesen. Ihre Augen schienen auf beunruhigende Weise zu leuchten.
„Der dritte Aspekt der Göttin scheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Wir haben den abnehmenden Mond, auch ,Schwarzmond‘ genannt. Dieser wird oft als ‚Die dunkle Seite der Göttin‘ bezeichnet. Warum, wird gleich deutlicher. Sie steht für Krieg und Schlachten, Zerstörung und Tod, für die Menstruation, was in den früheren Jahrhunderten ein Tabuthema war. Sie steht aber auch für Erneuerung, Wiedergeburt, große Weisheit und die Gabe des Wahrsagens. Wenn Sie im Hinterkopf behalten haben, was ich zu Beginn sagte, dann machen all diese Aspekte Sinn. Im Jahreskreis wäre sie der Winter. Alles Leben neigt sich dem Ende zu, doch dieses ist nötig, damit ein neuer Frühling entstehen kann. Oder auf die Mondphasen bezogen: Erst wenn Neumond war, kann der Mond wieder zunehmen.“
Sie warf einen abschätzenden Blick durch den Kursraum, um zu ergründen, ob ihre Worte verstanden worden waren. Offenbar war sie zufrieden mit dem, was sie erblickte, denn sie fuhr sogleich fort: „Genau wie das Jahr und die Mondphasen folgen die Riten der Wicca wiederkehrenden Zyklen. Die alte Frau hat viele Namen. Auf den britischen Inseln und in Irland wird sie Sheila-Na-Gig genannt. Im deutschsprachigen Raum begegnet sie uns unter dem Namen Hel oder Percht, je nachdem, ob wir mehr im Süden oder im Norden suchen. Andere bekannte Namen von ihr sind Morrigan, Hellja, Medusa und Hekate. Gibt es hierzu Fragen?“
„Professor Foirenston, welche der Hexen ist am mächtigsten?“
Valerian hätte am liebsten laut gegähnt.
Ist doch total klar, welche die Mächtigste ist. Die Alte natürlich!
Manchmal hatte er das Gefühl, dass er der Einzige war, der richtig aufpasste.
Doch weit gefehlt …
Tamara hatte sich erneut gemeldet.
„Tamara, möchtest du die Frage beantworten?“
„Sie sind alle drei gleich stark, da es sich nur um Aspekte ein und derselben Göttin handelt. Daher vereint sie alle drei Wesenszüge in sich.“
„Das ist vollkommen richtig. Weitere Fragen?“
„Wird die Göttin heute immer noch verehrt?“
Valerian – enttäuscht, so danebengelegen zu haben – hatte sich auf seinem Stuhl ungewandt, um die Leute hinter sich zu sehen. Tamara hatte bei der Frage die Augen verdreht und die Hand erneut gehoben. Die Dozentin winkte jedoch nur ungeduldig als Zeichen, dass sie ruhig antworten sollte.
„Selbstverständlich wird die Göttin heute immer noch verehrt. Die Anhänger der Wicca sind zahlreich und auf der ganzen Welt verteilt. Fast alle leben nach den Richtlinien des Wicca-Glaubens – eine der ältesten Glaubensrichtungen übrigens, die heute noch existieren. Das heißt aber nicht, dass sie den monotheistischen Glauben ablehnen.“
Valerian konnte sich nicht helfen, aber ihn störte ihr zickiger Unterton. Kein Wunder, dass Linda sich bisher über sie ausgeschwiegen hatte. Sie war das Wicca-Gegenstück zu Cendrick und Hetaeria Magi. Beide auf ihre Art eingebildet. Doch wen kümmerte es schon, in welchem Konvent, Orden oder was auch immer die waren? Das machte ihm Sir Fowler so sympathisch. Der hatte sich von allen Orden ferngehalten. Recht so!
„Gut. Kommen wir jetzt zum männlichen Gott des Wicca-Glaubens. Sie werden gleich etwas sehen, was Ihnen sehr bekannt vorkommt.“
Mit diesen Worten erschien eine neue Folie auf der Wand. Ein junger Mann war zu
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