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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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weil er stets Beweise braucht.
    Die Venn-Diagramme explodieren in meinem Kopf. Kreise in anderen Kreisen. Hexenringe. Neutrinos. Ich stütze mich schwerer auf meinen Spaten und beginne zu schaukeln. Das CERN-Experiment bedeutete eine seismische Erschütterung für unser Bild vom Universum. Können in Zeiten der Krise ungeahnte Dimensionen mit jenen verschmelzen, die wir kennen? Kann sich ein Kind gleichzeitig in zwei zeitlichen Räumen befinden? Die Quantenphysik würde das bejahen. Als der Professor von einer »Besatzung« sprach, hat er es ernst gemeint. Ich aber habe es als irrelevant abgetan.
    Wir gehören zur Alten Welt , sagte Naomi. Die Zeit arbeitet nicht so, wie Sie denken. Sie sind zurückgekommen, um uns zu stoppen.
    Ich erinnere mich an einen Tag in London, an die Silhouette von Ashok, wie er eine Schimpftirade loslässt. Sieh doch nur, was aus dem Wachstum wird! Wie soll jemals etwas wieder aufgebaut werden oder auch nur überleben, wenn die Industrie in diesem Ausmaß sabotiert wird?
    Wachstum. Fortschritt. Mehr. Neuer.
    Der Heilige Gral.
    Wer sich umdreht, erstarrt zur Salzsäule.
    Er nannte mich mein geliebter Hesketh. Aber erst Freddy zeigte mir das, was ich nicht sehen konnte. Für die Kinder ist diese Welt nicht hypothetisch. Sie ist ebenso real wie unsere.
    Die Frage ist nicht, wie sie zu uns gekommen sind. Das soll meinetwegen die String-Theorie erklären. Die Frage ist, wie hätten sie nicht zu uns kommen können?
    Nachdem Freddy davongeschlendert ist, bleibe ich, auf meinen Spaten gestützt, noch lange im Dunkeln stehen.
    Ein paar Tage später unternehmen wir den Spaziergang, den ich als unseren letzten betrachten werde. Es nieselt.
    Der Junge bleibt neben dem Felsen stehen, dort, wo der Schafpfad eine scharfe Biegung macht, und schaut nach oben. Die Sonnenstrahlen werden so gebrochen, dass ich es zuerst nicht erkenne. Dann aber sehe ich es.
    Hoch oben auf den dunklen Granit ist mit weißer Kreide ein vertrautes Bild gekritzelt.
    Das Auge.
    Sie haben ihn gerufen.
    In den folgenden Wochen beschwöre ich ein Szenario herauf, um mich zu trösten. Es kommt zu mir, wenn ich am Schreibtisch sitze, mich auf dem Stuhl hin- und herdrehe und die tanzenden Schatten betrachte, die die Kerze, die ich vorsichtshalber am Fenster brennen lasse, an die Wand wirft.
    Es ertönt ein Geräusch, als würde ein Ast gegen die Tür schlagen. Aber es ist ein Klopfen. Ich mache auf, und dort steht der Professor, dessen Haare und Bart mit Regentropfen gesprenkelt sind.
    »Ich wusste, ich würde Sie hier finden, mein Junge«, sagt er.
    Ich erinnere ihn wieder daran, dass ich sechsunddreißig bin. Dann zeige ich ihm das Cottage und warne ihn vor denniedrigen Deckenbalken. Er lächelt, als er die alten optischen Schaubilder sieht, die er mir vor so vielen Jahren geschenkt hat. Er inspiziert meine Wörterbuchsammlung und lobt die Ordnung in meinen Regalen, registriert, was wo und wie zusammengestellt ist. Und ich zeige ihm den Einsiedlerkrebs.
    »Er ist fast fertig«, sage ich. Er bewundert die filigranen Beine und Stielaugen. Wie sie fein säuberlich aus dem glänzenden, ziehharmonikaförmigen Panzer ragen. Ich erkläre einige von Langs Origami-Prinzipien. »Wenn er fertig ist, bekommen Sie ihn geschenkt. Ich wünschte, ich hätte das tun können, als Sie noch am Leben waren. Aber ich war nicht bereit. Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich es als letzter Mensch auf Erden begriffen habe. Sie hatten recht, was das neue Paradigma betrifft.«
    »Ich weiß. Ich bin froh, dass Sie es erkannt haben. Das hatte ich nicht erwartet.«
    »Freddy hat es mir gezeigt.«
    »Wir drei sind ein gutes Team.«
    »Er ist weg.«
    »Aber er wird wiederkommen. Wenn sie das vollendet haben, wofür sie hergekommen sind. Wenn die Menschheit sich ausreichend verändert hat. Wenn die neue Richtung feststeht. Das wissen Sie, Hesketh.«
    »Wirklich?«
    »Das müssen Sie mir sagen.«
    »Hoffnung und Glaube sind nicht dasselbe.«
    Er lächelt. »Nein. Aber Sie können sie vereinen. Wann werden Sie den berühmten Einsiedlerkrebs vollenden?«
    »Wenn ich die Hoffnung überwunden habe. Und darüber hinausblicke.«
    Ich denke immer öfter über das endlose Universum der Dinge nach, die der Mensch nicht weiß.
    Wenn der alte Freddy hier wäre, würde er sagen: »Noch nicht.«
    Aber es gibt keinen Freddy mehr. Er ist nicht mehr von dieser Welt.
    Und was soll »noch nicht« bedeuten – jetzt, da die Zeit eine völlig neue Bedeutung gewonnen hat?
    Ich liebe

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