Die da kommen
lacht. »Das ist, als würde man sagen, dass zu viel Luft ungesund ist!«
»Nein. Luft und Salz sind unterschiedlich.«
Er sieht mich an und neigt den Kopf zur Seite. »Ich bin hier nicht der Spinner! Der bist du!«
»Wieso?«
»Willst du die falsche Art von Blut haben?«
Das ist interessant. »Was ist denn die falsche Art von Blut?«
Er wirft mir noch einen Seitenblick zu, antwortet aber nicht. Als ich die Frage wiederhole, sagt er: »Wieso redest du von Blut? Du bist echt ein Freak, Hesketh.«
»Du hast es zuerst erwähnt. Nicht ich. Du hast gefragt, ob ich die falsche Art von Blut haben will.«
»Soll das ein Spiel sein?«
»Nein.«
»Dann bist du wirklich ein Freak. Kann ich vor der Schule fernsehen?«
»Du gehst heute nicht zur Schule, Freddy K.«
»Cool. Wieso nicht?«
»Weil wir hier warten, bis wir hören, wie es deiner Mama im Krankenhaus geht.«
Er blinzelt. Drei Sekunden Pause. Dann sagt er: »Okay. Kann ich fernsehen?«
Im normalen Leben würde Freddy bei der Vorstellung, dass seine Mutter im Krankenhaus liegt, hysterisch werden.
»Nein.« Ich will nicht riskieren, dass er die Nachrichten sieht. »Such dir eine DVD aus.«
Er trabt hinaus und kommt zu meiner Überraschung mit Die trockene Welt zurück, einer Naturserie über das Leben in der Wüste .
Ich rufe in Battersea an, aber dort ist ständig besetzt. Die Internetverbindung ist wieder weg. Ich schicke eine SMS an Professor Whybray – Mein Stiefsohn Freddy hat gestern Abend seine Mutter angegriffen. Ich werde ihn bis zu unserem nächsten Treffen beobachten – und gehe wieder ins Wohnzimmer, wo Freddy sich schon in Skorpione, Schlangen, Kakteen und umherhuschende Nagetiere vertieft hat. Er liegt auf dem Sofa, und ich breite eine Decke über ihn. Er sagt: »Danke-dinke-donke-dunke.« Einen kurzen Moment lang glaube ich, alles sei wieder normal. Doch als ich ihm ein Glas Milch hole und es auf den Couchtisch stelle, reagiert er mit einem Entsetzensschrei.
»Hey! Was machst du da? Ich will das weiße Zeug nicht!«
»Freddy K, Freddy K. Ganz ruhig. Es ist nur Milch. Die trinkst du sonst immer. Was ist denn nicht in Ordnung damit?«
Er sieht sie ängstlich und angewidert an. »Könnte giftig sein!« Sein Entsetzen wirkt echt.
»Ist sie aber nicht. Schau mal.« Ich trinke einen Schluck, um es ihm zu beweisen, aber er lässt sich nicht überzeugen. Das ist wirklich seltsam.
»Für dich ist sie nicht giftig, weil du aus der Alten Welt kommst. Wir haben aber anderes Blut. Wir brauchen Cola oder Sprite oder Dr. Pepper«, beharrt er.
Wieder denke ich an Jonas’ Vorrat. Coca-Cola, hatte Annika gesagt. Wir.
»Wen meinst du mit wir?«
»Kinder wie mich.«
»Welche Kinder wie dich?«
»Ich will was aus einer Dose.«
»Du weißt, dass deine Mama keine kauft. Also Milch oder gar nichts.«
»Wenn du was Giftiges isst, wirst du blind!«, ruft er mir nach. Seltsam, dass er eine Verbindung zwischen Vergiftung und Blindheit hergestellt hat. Auch Jonas hat von Blindheit gesprochen, als er im Krankenhaus tobte. Er hatte allen Grund dazu: Seine Augen waren besorgniserregend entzündet.
Ich überlasse ihn der DVD, die er dröhnend laut gestellt hat, so wie er es gern hat, und gehe in mein ehemaliges Arbeitszimmer. Ich weiß genau, was in den Kartons ist. Bücher, Rasierzeug, drei Paar Schuhe, Freizeitkleidung. Ein bisschen Origami-Material. Alles nützlich. Ich sitze eine Weile da und schaukle hin und her, dann falte ich fünf ozuru im Kopf. Ich zögere und gestalte dann ganz langsam eine Lotusblume für Kaitlin. Die mochte sie immer so gern. Dann mache ich mich an die Arbeit.
Ich kann meine Gedanken am besten ordnen, wenn ich jede Idee körperlich berühre und forme und mit greifbaren Dimensionen versehe. Meine Pappe und das Papier, darunter auch die großen Bögen bunten Transparentpapiers, die ichbenutzen will, liegen noch in meinem ehemaligen Schrank. Obwohl Computermodelle leichter einzurichten und zu bearbeiten sind, bieten sie nicht dieselbe sinnliche Befriedigung wie Papier. Binnen Minuten habe ich Entscheidungen über die grundlegenden Kategorien getroffen und ein harmonisches Farbsystem ausgesucht. Bald schon werden sich neue Verbindungen enthüllen, und ich werde damit beginnen, die Schablonen zu kombinieren. Ich bin ruhig, aber voller Energie. Mein bester Geisteszustand. Ich habe ein Projekt. Ich habe das Radio mitgenommen und lasse es laufen, während ich arbeite. Alle fünf Minuten rufe ich in Battersea an – ich muss mit
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