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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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verloren. Brenland? Zur Familie meiner Mutter? Die hab ich kaum je getroffen ...«
    »Dann geht woanders hin.« Feival wandte sich ihr wieder zu, jetzt regelrecht verzweifelt. »Das hier ist ein schrecklicher Ort.«
    Damit stapfte er hinaus und verschwand in dem kleinen Raum — kaum mehr als eine Kammer —, wo er sein Bett hatte. Er weigerte sich zu erklären, was ihn so aufgebracht hatte, und am nächsten Tag war ihm der Vorfall offenbar zu peinlich, als dass er noch irgendetwas darüber gesagt hätte.

    Qinnitan erwachte benommen, unglücklich und von Übelkeit geplagt. Ein halbes Tagzehnt war vergangen, seit sie und der Namenlose Agamid verlassen hatten, und ein immer gleicher Ablauf ihrer elenden Tage hatte sich eingespielt.
    Ihr Fußgelenk war mit einem kurzen Seil an einer der Klampen an der Reling festgebunden. Sie konnte aufstehen und sich strecken und sich unbequem auf die Reling setzen, um Wasser zu lassen, doch wenn sie sich über Bord fallen ließe, würde sie nur ein kleines Stück über dem Wasser baumeln, bis jemand sie wieder hereinzöge. Jetzt, da Spatz nicht mehr da war und ihr Entführer sie nicht mit Drohungen gegen den Jungen unter Druck setzen konnte, stellte er sicher, dass sie sich nicht umbringen konnte. Er würde sie dem Autarchen lebend übergeben, ob ihr das passte oder nicht.
    Außerdem hatte ihr Entführer jetzt Verbündete. Die Überlebenden des Brandes, nur wenige und jetzt ohne Schiff, warteten in Agamid auf die restliche Flotte des Autarchen, sodass sich der Namenlose ein anderes Beförderungsmittel hatte suchen müssen. Die Fischerschaluppe, die er angeheuert hatte, war bemannt mit einem mürrischen Kapitän namens Vilas und dessen beiden dicken Söhnen. Alle drei waren von der Sonne braungebrannt, wirkten aber trotzdem feucht und klebrig, als wären sie unter einem Stein in einem Gezeitentümpel hervorgekrochen. Außerdem hatten sie allesamt durchgehende, dicke Augenbrauen und sprachen offenbar nur Gossenperikalesisch, eine Sprache, die der Namenlose verstand, die für Qinnitan jedoch klang, als räusperten sie ständig Schleim hervor, um auszuspucken. Bis auf die lüsternen Blicke, sobald der Namenlose wegschaute, schienen sich die drei Fischer überhaupt nicht für sie zu interessieren: Dass sie sichtlich eine Gefangene war, machte ihnen offenbar nicht das Geringste aus.
    Also hatte Qinnitan, während die Küstenlinie vorbeischaukelte, wenig anderes zu tun als zu warten ... und nachzudenken. Während sie an dem Stück Schiffszwieback nagte, das ihr einer von Vilas' Söhnen so achtlos hingeworfen hatte, als wäre sie ein Hund, fragte sie sich, wie viel Zeit ihr noch blieb, ehe der Namenlose sie dem Autarchen übergeben würde. Agamid lag etliche Tage hinter ihnen, doch von der jellonischen Landzunge war noch nichts zu sehen. Wohin fuhren sie? Wenn sie dem Autarchen folgten, was wollte Sulepis dann so weit im Norden? Er hätte doch sicher mehr davon, das weite Hierosol mit all seinen Schätzen und seiner Kontrolle über den Nordteil der Ostäischen See zu erobern. Warum sollte der mächtigste Herrscher der Welt bis zu den bewaldeten Hinterlanden Eions hinaufsegeln?
    Und warum hatte sich der Autarch überhaupt die ganze Mühe gemacht, Qinnitan ihrer Familie zu entreißen? Das hatte noch nie einen Sinn ergeben, von Anfang an nicht. Warum sollte er die Tochter eines kleinen Priesters zu einer seiner Ehefrauen erwählen? Und dann nichts mit ihr machen, als sie einer Art bizarrer religiöser Unterweisung zu unterziehen?
    Und warum hatte sich der Nordländerkönig Olin ebenfalls für sie interessiert? Er war ein gütiger Mann gewesen, aber das allein erklärte doch nicht, warum er unter all den Mädchen, die in der hierosolinischen Festung gearbeitet hatten, gerade sie als Gesellschaft auserkoren hatte.
    Augenblick.
Qinnitan stand auf, weil ihr Kopf plötzlich fieberhaft arbeitete, doch schon nach zwei Schritten war der Spielraum, den ihr das Seil ließ, ausgeschöpft. Sie schluckte die Verzweiflung hinunter, entschlossen, an dem Gedankengang festzuhalten. Der Autarch hatte sie aus einem Grund ausgewählt, den sie nie verstanden hatte. Jetzt fuhr er nach Norden, die Küste Eions hinauf. Der fremde König, der Gefangene, hatte irgendetwas in ihr wiederzuerkennen geglaubt — hatte er nicht etwas von einer Ähnlichkeit gesagt? War das das Ziel des Autarchen — das Land des fremden Königs Olin? War es das, wo alle hinwollten?
    Es ergab eigentlich immer noch keinen Sinn, aber für diesen

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