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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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legte er den zweiten Teil seines Namens ab und zog in den Krieg. Er geriet in Gefangenschaft des Autarchen und wurde ein Weißer Hund.«
    Selbst für Qinnitan, die einen Großteil ihres jungen Lebens in der Abgeschiedenheit des Bienentempels und dann des Frauenpalastes verbracht hatte, genügte der Name dieser gefürchteten Truppe von nordländischen Söldnern, um ihr Herz einen Schlag aussetzen zu lassen. Das also erklärte, warum ein weißhäutiger Mann aus Eion so perfekt xixisch sprach. »Und ... Eure Mutter?«
    »Sie war eine Hure.« Er sagte es leichthin, wandte aber erstmals den Blick ab und richtete ihn auf das Glühen des Sonnenaufgangs, das am Horizont auf dem Wasser lag wie eine brennende Ölschicht. »Alle Frauen sind Huren, aber sie war es ganz offen. Er hat sie umgebracht.«
    »Was? Euer Vater hat Eure Mutter getötet?«
    Jetzt sah er sie wieder an, die Augen stumpf von Verachtung. »Sie hat es herausgefordert. Sie hat ihn geohrfeigt. Also hat er ihr den Schädel eingeschlagen.«
    Qinnitan wollte ihn nicht mehr am Reden halten. Sie hob die zitternden Hände, als könnte sie dadurch derlei Dinge von sich fernhalten.
    »Ich hätte sie auch getötet«, sagte Vo und ging über das leicht schwankende Deck, um mit dem alten Fischer Vilas zu reden, der das Ruder bediente.
    Qinnitan blieb, gegen den steifen, kalten Wind zusammengeduckt, sitzen, so lange sie konnte, stieg dann auf die Bank an der Bordwand und erbrach den kärglichen Inhalt ihres Magens ins Meer. Danach legte sie sich hin, die Wange an der kalten, feuchten Reling. Die Küstenlinie war vor Nebel kaum sichtbar, sodass das Boot durch einen leeren Raum zwischen den Welten zu gleiten schien.

    Es hatte sich eindeutig etwas verändert. In den folgenden Tagen wurde Vo, gemessen an vorher, regelrecht gesprächig. Während die Schaluppe entlang der Küste nordwärts kroch, gewöhnte er sich an, nach seinem Morgenritual ein wenig mit Qinnitan zu reden. Manchmal erwähnte er sogar Orte, wo er gewesen war, und Dinge, die er gesehen hatte, winzige Fragmente seiner Lebensgeschichte, wenn er auch nie wieder von seinen Eltern sprach. Qinnitan bemühte sich, genau zuzuhören, obwohl das zuweilen schwer war: Dieser Vo machte keinen großen Unterschied zwischen einem Mahl, das er verspeist, und einem Mann, den er getötet hatte. Seine Art zu reden hatte nichts Freundliches, nichts vom normalen Hin und Her einer Unterhaltung. Das Ganze wirkte eher wie ein Zwang, der über ihn kam, wenn er die Nadel abgeleckt hatte, als ob ihn das, was da in dem Fläschchen war, so ekstatisch machte, dass er nicht mehr schweigen konnte. Doch das Redefieber hielt nie lange an, und hinterher war er ihr gegenüber oft unwirsch, gab ihr weniger zu essen oder ging ohne Grund grob mit ihr um, so als hätte sie ihn mit List und Tücke zum Reden gebracht.
    »Warum sagt Ihr, dass alle Frauen Huren sind?«, fragte sie eines Morgens ruhig. »Was auch immer Euch der Autarch über mich gesagt haben mag, ich bin nicht so. Ich bin noch Jungfrau. Ich war in der Ausbildung zur Priesterin. Der Autarch hat mich aus dem Bienentempel herausgerissen und in den Frauenpalast gesteckt.«
    Vo verdrehte die Augen. Die eiserne Kontrolle, die sonst alles bestimmte, was er tat und ließ, schien in dieser ersten Stunde des Tages nachzulassen. »Eine Hure zu sein, hat nichts mit ... Beischlaf zu tun«, sagte er, als hätte das Wort einen ekelhaften Geschmack. »Eine Hure verkauft sich selbst für Schutz oder Nahrung oder bessere Besitztümer.« Er blickte an Qinnitan hinab, und in seinem Gesicht stand absolutes Desinteresse. »Frauen haben nichts zu verkaufen außer sich selbst, also verkaufen sie das.«
    »Und Ihr? Was verkauft Ihr?«
    »Oh, natürlich bin auch ich eine Hure«, sagte er und lachte. Er lachte offenkundig nicht sehr oft — es klang ungeübt und zornig. »Die meisten Männer sind welche, bis auf die, die von Geburt an reich und mächtig sind. Das sind die Käufer. Wir übrigen sind ihre Nutten und Lustknaben.«
    »Dann wollt Ihr jetzt also die Hure des Autarchen sein?« Sie legte in ihre Stimme, was sie nur an Verachtung aufbieten konnte. »Ihr wollt mich ihm übergeben, damit er mich foltern und ermorden lässt — nur für sein Gold?«
    Er blickte eine ganze Weile stumm auf seine Hand, hielt sie ihr dann vors Gesicht. »Siehst du das hier? Ich könnte dir im Nu das Genick brechen oder dir die Finger in die Augen oder zwischen die Rippen rammen, um dich zu töten, und du könntest nichts dagegen

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