Die Daemmerung
bleiche Wesen wieder im Nebel abseits des Pfads. Erneut ging Gewisper über seinen Kopf hinweg und fand ein Echo. Barrick drehte sich wieder nach vorn, weil er Angst hatte, umzingelt zu werden, doch für den Augenblick hatten sich die Fadenknäuelkreaturen in den schützenden Nebel zurückgezogen.
Seidenwickler.
So hatte der Vogel sie genannt, und diese grässliche Gegend, hatte er gesagt, heiße Seidenwald.
Etwas Dünnes, klebrig wie eine Spinnenwebe, traf sein Gesicht. Er griff danach, aber es wickelte sich irgendwie um seinen Arm. Statt die andere Hand hochzureißen und ebenso einfangen zu lassen, zerrte er mit der Speerspitze an den Fadenfesseln und sägte daran herum, bis sie mit einem scharfen, aber dennoch lautlosen Schnappen rissen. Wieder schwebte ein Faden auf ihn zu, als driftete er im Wind, wickelte sich dann aber mit erschreckender Präzision um ihn. Und wieder riss er mit dem Speer daran, fühlte, wie der Faden sich festkrallte und stärker spannte. Er hob den Blick und sah über sich eins der weiß umwickelten Wesen im Geäst hocken und wie ein Marionettenspieler herabhängende Seidenfäden manövrieren. Er schrie erschrocken auf, stieß mit dem abgebrochenen Speer nach der Kreatur und spürte, wie die Spitze in etwas eindrang, das fester war als Nebel oder selbst Seidenfäden, aber trotzdem nicht wie ein normales Tier oder ein Mensch; es fühlte sich an, als stieße er in ein in feuchten Pudding gewickeltes Bündel Stöcke.
Der Seidenwickler gab einen bizarren, flötenden Seufzer von sich und kletterte ins höhere Geäst, wo er hinter Nebelschwaden und einem zwischen Ästen gespannten Schleier aus Seidenfäden verschwand.
Barrick riskierte einen Blick vor sich und sah, dass der Pfad, der eben noch so breit und einladend gewirkt hatte, sich jetzt fast bis auf seine Schulterbreite verengte — ein Tunnel aus weißen Fasern wie das Wohngespinst einer jagenden Spinne. Sie versuchten, ihn in diese Falle zu zwingen, ihn tiefer und tiefer hineinzutreiben, bis er nicht mehr umkehren konnte, bis seine Gliedmaßen umgarnt waren und er so hilflos war wie eine gefangene Fliege.
Wie war das alles so schnell passiert? Ihm pochte das Blut im Schädel. Eben noch hatte er dort gesessen und an zu Hause gedacht — und jetzt würde er sterben.
Etwas bewegte sich links vom ihm. Barrick schwang seinen Speer im weiten Bogen, versuchte verzweifelt, die Kreaturen auf Abstand zu halten. Er spürte eine hauchzarte Berührung im Nacken, als wieder ein Seidenwickler wehende Fäden auf ihn herabschleuderte. Barrick schrie auf und schlug um sich, um die klebrigen Stränge loszuwerden.
Mitten auf dem Pfad stehen zu bleiben, würde sein Schicksal besiegeln, das war ihm klar.
»Zieh dich hinter eine Mauer zurück oder such dir irgendeine Rückendeckung«,
hatte ihm Shaso immer eingeschärft. Barrick wandte sich vom Pfad weg und bahnte sich einen Weg durchs Unterholz. Den Bäumen ganz entkommen würde er nicht, das war ihm klar, aber wenigstens konnte er selbst bestimmen, wo er sich dem Gegner stellen wollte. Immer wieder den auf ihn zufliegenden Fadenbündeln ausweichend, schlug er sich zu einer kleinen Lichtung durch, in deren Mitte ein einzelner riesiger Baum mit tellerförmigen, rotgoldenen Blättern und dickem, grauem Stamm stand; die Rinde war rauh und gefurcht wie die Haut einer Echse. Barrick postierte sich mit dem Rücken zum Baumstamm. Wer auch immer sein Gegner war, in diese Zweige würde er nicht so leicht gelangen, da der Baum keine Berührung mit seinen Nachbarn hatte.
Nebel umwallte seine Füße, erreichte stellenweise Hüfthöhe, während Barrick in das immer dichter werdende, milchige Weiß starrte. Und obwohl sein verkrüppelter Arm an den Stellen, wo er ihn vor so langer Zeit gebrochen hatte, wie Feuer brannte, hielt er seinen abgebrochenen Speer mit beiden Händen fest umklammert, aus Angst, er könnte ihm aus den Fingern geschlagen werden.
Sie kamen jetzt aus der trüben Suppe auf ihn zu, bleiche, geisterhafte Schemen, die selbst kaum mehr als Nebel schienen. Aber diese Seidenwickler waren real. Das hatte er gespürt, als er die Speerspitze in einen gerammt hatte. Und wenn sie real genug waren, um sich aufspießen zu lassen, waren sie auch real genug, um zu töten.
Etwas kitzelte ihn im Gesicht. Ganz auf die herannahenden Gestalten konzentriert, hob er reflexhaft die Hand, um es wegzuwischen, ehe er begriff, worum es sich handelte, und zur Seite sprang. Wieder hatte sich eine dieser Kreaturen von hinten
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