Die Daemmerung
angeschlichen, um ihre Seidenschlingen zu schleudern, und als er um den mächtigen Baumstamm herumtrat und ihr gegenüberstand, hob die nicht-ganz-menschliche Gestalt in fast schon komischem Erschrecken den seidenumwickelten, beinahe gesichtslosen Kopfknubbel wie ein bei verbotenem Tun ertappter Hund. Barrick glaubte, zwei feuchte, dunkle Flecken zu erkennen, die aus dem kunstvollen Fadengewirr herausspähende Augen sein mochten. Er stieß so fest mit dem Speer zu, dass er die rostige Spitze fast gänzlich im Bauch der Kreatur versenkte. Es schmatzte so tief im Inneren des Seidenwicklers, dass er überzeugt war, ihn getötet zu haben, doch als er den Speer herausreißen wollte, bekam er ihn fast nicht frei, und als er ihn dann doch draußen hatte, blubberte nur eine geringe Menge einer zähen, dunkelgrauen Flüssigkeit aus dem Loch in der Seidenhülle. Immerhin taumelte der Seidenwickler unter offenkundigen Schmerzen rückwärts, bevor er sich umdrehte und in den Nebel davonhastete. Barrick drehte sich gerade rechtzeitig um, um einen weiteren Seidenwickler, von dessen Fingern Seidenstränge hingen, über die Lichtung auf sich zukommen zu sehen. Barrick duckte sich, die Fäden blieben neben seinem Kopf an der Rinde kleben, und für einen Augenblick war das Wesen ein Gefangener seiner eigenen Waffe. Es ruckte mit der verkrümmten Hand, bis die Seide riss, doch in diesem Augenblick stieß ihm Barrick den Speer in die Brust. Allerdings bekam er nicht viel Druck hinter den Stoß, sodass die Speerspitze nicht sehr tief eindrang, aber er ließ die Hand den Schaft hinaufgleiten, um ihn kürzer zu fassen, zog dann die Klinge abwärts und schlitzte so der Kreatur den Rumpf, wenn auch nicht sehr tief, von der Brust bis zur Leibesmitte auf. Zu seiner Verwunderung spie die Wunde diesmal förmlich graue Flüssigkeit, und noch während die lautlosen Gefährten des Seidenwicklers aus dem Nebel kamen, glitt die verwundete Kreatur zu Boden, lag keuchend und blubbernd da und zuckte wie eine enthauptete Schlange.
Das Innere der Kreaturen bestand fast nur aus Flüssigkeit, wie das Mark gekochter Knochen. Vielleicht war die Umhüllung ja keine Kleidung, sondern eher so etwas wie eine Schale oder Haut — eine Art Schutzpanzer für ihre weichen Körper. In diesem Fall war ein Speer so ziemlich die ungeeignetste Waffe gegen sie. Er brauchte etwas mit einer langen, scharfen Klinge — ein Schwert oder wenigstens ein Messer —, was er jedoch nicht hatte. Wenn ihn nur einer von dem halben Dutzend Seidenwickler, die jetzt auf ihn zukamen, zu fassen bekam, würden sie ihn schnell zu Boden zerren, und dann würden sie ihn einwickeln wie eine Spinne ein Insekt ...
Er dachte an Briony, die ihn zweifellos längst für tot hielt. Er dachte an das dunkelhaarige Mädchen aus seinen Träumen, eine Vision, die vielleicht gar nicht wirklich existierte. Wie wenige ihn vermissen würden? Dann dachte er an Gyir und an den Spiegel, den ihm der tapfere, gesichtslose Elbe übergeben hatte, und selbst an Vansen, der beim Versuch, ihn zu retten, in Finsternis und Tod gestürzt war. Würde Barrick Eddon sich da töten lassen wie ein dummes, primitives Tier? Von diesen ... hirnlosen Kreaturen?
»Ich bin ein Prinz aus dem Hause Eddon.« Seine Stimme klang zuerst leise und zittrig, gewann dann aber an Kraft. Er reckte den Speer empor, damit ihn die Kreaturen sehen konnten. »Dem Hause Eddon!« Dann setzte er den Speer am Fuß des Baumes an, trieb die Spitze in die Rinde, trat fest zu und brach so den Schaft kurz hinter dem schartigen Metall ab. Er hob die Speerspitze auf und fasste sie mit der gesunden Hand wie einen Dolch. »Und wenn ihr erbärmlichen Geister glaubt, eine Horde Kreaturen wie ihr könnte das Haus Eddon zu Fall bringen«, rief er und hob die Stimme zum Schrei, »dann
kommt her!«
Und sie kamen mit wehender Seide. Wenn sie ihn gleichzeitig von allen Seiten angegriffen hätten, wäre es sicher sein Ende gewesen: Sie waren flink, leise und im Nebel kaum zu erkennen. Aber sie hatten nicht den Verstand von Menschen, grabschten stattdessen einzeln nach ihm wie hungrige Bettler und versuchten, ihn mit der klebrigen Seide einzufangen. Barrick gelang es, einen der Angreifer an seinen klebrigen Fäden heranzuziehen und ihm mit dem Speerrest den Rumpf aufzuschlitzen. Aus seinem Bauch sprudelte es grau, und die Kreatur sackte neben der Leiche des anderen Seidenwicklers zu Boden, stöhnend wie ferner Wind.
Die übrigen stürzten sich auf ihn. Barrick
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