Die Daemmerung
Düsternis des Gemüts. Die Straßen seien leer, erzählten die Reisenden, und die Märkte und Jahrmärkte, die doch immer solch wichtige Höhepunkte des Lebens gewesen waren, seien kaum besucht, wenn sie überhaupt stattfänden.
Stadtbewohner vermieden es zu reisen, und die Leute vom Land seien, wenn sie konnten, aus Sicherheitsgründen in die Städte gezogen oder hätten zumindest im Schatten der Mauern Schutz gesucht.
Gleichzeitig jedoch vermochten nicht einmal diejenigen, die erst kürzlich in den Markenlanden gewesen waren — wie etwa der Kesselflicker, den sie nördlich von Doros Kallida trafen —, genau zu beschreiben, was dort vor sich ging. Alle waren sich einig, dass die Zwielichtler aus dem nebelverhangenen Norden herabgekommen waren, so wie vor zweihundert Jahren, und dass sie auf ihrem Zug nach Südmark Milnersford und mehrere andere Städte zerstört hatten. Doch die Belagerung, die schon vor Brionys Flucht begonnen hatte, schien seither die längste Zeit seltsam halbherzig fortgeführt worden zu sein: Die Zwielichtler hätten monatelang geradezu friedlich in ihrem Lager vor den Mauern verharrt, und es habe keinerlei Kämpfe gegeben.
Doch vor kurzem, erzählte ihnen der Kesselflicker, habe sich das geändert, jedenfalls habe er das weiter im Norden von anderen Reisenden gehört. Irgendwann in den letzten Tagzehnten habe der Angriff wieder begonnen, diesmal ernsthaft, und die Berichte seien grausig, kaum zu glauben — Riesengewächse, die die Mauern von Südmarksburg einrissen, der äußere Befestigungsring in Flammen, Dämonenwesen, die die Verteidiger abschlachteten, hilflose Bürger ermordeten und deren Frauen vergewaltigten.
»Inzwischen ist es bestimmt vorbei, mögen die Götter sich ihrer annehmen«, sagte der Mann fromm und schlug das Zeichen der Drei. »Da kann nichts mehr übrig sein.«
Nach dem Gespräch mit dem Kesselflicker war Briony so bestürzt, dass sie den ganzen restlichen Tag kaum noch etwas sagen konnte.
»Das sind doch nur Geschichten, die Reisende von anderen Reisenden haben, Hoheit«, erklärte ihr Finn. »Nehmt sie Euch nicht so zu Herzen. Hört auf einen Historiker, der es gewohnt ist, solche Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen — erste Berichte, zumal wenn sie nur auf Hörensagen beruhen, sind immer viel schrecklicher und blutrünstiger als das tatsächliche Geschehen.«
»Wie sollte mich das trösten?«, fragte sie. »Nur die Hälfte meiner Untertanen tot? Nur die Hälfte meines Zuhauses in Flammen?«
Finn und die übrigen taten ihr Bestes, doch an diesem Abend und noch mehrere Tage lang war Briony nicht aufzuheitern.
Und wenn Barrick wirklich zurückgekehrt ist?,
dachte sie immer wieder.
Nach alldem — habe ich ihn jetzt für immer verloren? Haben ihn die Zwielichtler getötet?
Gequält lag sie bis in die frühen Morgenstunden wach.
Wenn ja, werde ich dafür sorgen, dass jede einzelne dieser götterlosen Kreaturen erschlagen wird.
»Wir haben ein Problem«, verkündete Finn, während sie ihren Hammeleintopf aßen. Estir hatte ihn gekocht und die kärgliche Menge Fleisch durch reichliches Hinzugeben von Pfefferkörnern, die sie auf dem letzten Markt gekauft hatten, wettgemacht, sodass das Gericht zwar nicht so sättigend war, wie es hätte sein können, aber immerhin wärmend.
»Ja, das stimmt«, sagte Pedder Makswell. »Meine Schwester gibt unser ganzes Geld für Gewürze aus, und wir sind schon wieder so gut wie blank.«
»Du Dummkopf«, sagte Estir. »Du vertrinkst viel mehr von unserem Geld, als ich für Pfeffer und Zimt ausgebe.«
»Weil geistige Getränke die Nahrung des Geistes sind«, erklärte Nevin Kennit. »Hungere den Geist eines Künstlers durch Nüchternheit aus, und er wird zu schwach sein, seine Kunst auszuüben.«
Finn wedelte mit den Händen. »Genug, Schluss jetzt. Wenn wir sparsam sind, müsste Prinzessin Brionys Geld uns alle bis Südmark durchbringen, also hört jetzt auf mit dem Gemecker, Pedder — und Ihr auch, Nevin.«
»Solange sparsam sein nicht heißt, Wasser zu trinken«, knurrte Kennit.
»Das Problem ist das, was diese Bauern heute gesagt haben«, fuhr Finn fort, ohne ihn zu beachten. »Ihr habt sie ja gehört. Sie behaupten, dass syanesische Garden vor den Mauern von Layandros ihr Lager aufgeschlagen haben. Was glaubt Ihr, was die da tun?«
»Freundschaft mit den dortigen Schafen schließen?«, spekulierte Kennit.
Finn durchbohrte ihn mit einem Blick. »Euer Mundwerk ist Euer größter Besitz — mehr wert
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