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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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es nur gehört, als ich klein war.«
    Ihr unterdrücktes Lachen schien ihn zu kränken. »Ich
war
mal klein.« »Ich lache nicht nur deshalb«, sagte sie. »Auch, weil ... weil Ihr mich ›Hoheit‹ genannt habt. Ich meine, schaut Euch doch an?«
    Er runzelte die Stirn, war aber offensichtlich auch ein bisschen geschmeichelt. »Na ja, es gibt wohl verschiedene Arten von ›hoch‹.«
    »Seid Ihr hier in der Nähe großgeworden? Ich dachte, Ihr wärt in Südmark geboren.«
    Er schüttelte den schmalen Kopf »Näher bei Silverhalden. Aber damals kamen immer viele Leute vom Land auf den Markt in Firstfort, das gleich über den Fluss lag. Mein Vater hat ihre Pferde beschlagen, wenn sie welche hatten.«
    »Wie seid Ihr dann nach Südmark gekommen?«
    »Mutter und Vater fingen sich das Fieber ein. Starben dran. Ich kam zu meinem Onkel, aber der war ein merkwürdiger Mann. Hat Stimmen gehört. Hat gesagt, mit mir stimmt was nicht — ich war da schon ziemlich groß. Hat gesagt, die Götter hätten meine Eltern geholt, weil ... ich weiß es nicht mehr genau, aber es sei meine Schuld, hat er gesagt.«
    »Das ist ja schrecklich!«
    Wieder ein Achselzucken. »Er war der, bei dem etwas nicht stimmte. Im Kopf, versteht Ihr? Die Götter schickten ihm Albträume, sogar bei Tag. Aber ich musste fort, oder ich hätte ihn getötet. Ich bin mit ein paar Viehtreibern nach Südmark hinaufgezogen, und dort hat es mir gefallen. Die Leute haben mich nicht so angestarrt.« Er wurde rot, sah dann Briony an. »Darf ich Euch etwas fragen, Hoheit?«
    »Gewiss.«
    »Ich weiß, wir gehen nach Südmark. Aber wenn wir dort sind, was wollt Ihr dann machen? Wenn diese Tollys immer noch die Krone haben? Und wenn die Zwielichtler immer noch dort sind? Was sollen wir alle dann machen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. Und das war die Wahrheit.

    Kurz bevor es dunkel wurde, machten sie halt und schlugen ihr Lager auf Die Schauspieler aßen unter großem Reden und Lärmen, als ob niemand die Geräusche des nächtlichen Waldes zu genau hören wollte, aber das Ungewöhnliche war, dass sie nicht lange aufblieben. Briony, eingezwängt zwischen den warmen, beruhigend mächtigen Körpern Finns und Dowans, wickelte sich fest in ihren Mantel und drückte Lisiyas Amulett an ihre Brust.
    Ein paar Mal, während sie im Fluss der Träume dahintrieb, meinte sie die Stimme der Halbgöttin zu hören, schwach und beschwörend, als ob Lisiya von der Silbernen Lichtung in eine andere Richtung davongezogen würde. Einmal glaubte sie sie zu sehen: Die alte Frau stand allein auf einer kahlen Hügelkuppe und winkte mit den Armen. Zuerst dachte Briony, die Halbgöttin wolle sie auf sich aufmerksam machen, doch dann verstand sie, dass ihr Lisiya zu sagen versuchte:
»Geh weg! Geh weg!«
    Sie erwachte zitternd im fast völligen Schwarz der Nachtmitte; nur das leise Glimmen der Glutreste des Feuers sagte ihr, wo sie war. In ihren Augen standen Tränen, aber sie konnte sich nicht erinnern, etwas geträumt zu haben, das sie zum Weinen gebracht haben könnte.

    Als es noch nicht viel nach Mittag sein konnte und die Sonne hoch und hell am Himmel hätte stehen müssen, verdüsterte sich die Welt. Abergläubische Panik erfasste die Truppe, bis Nevin Kennit erklärte, was allen sofort hätte klar sein müssen.
    »Ein Unwetter«, sagte er. »Wolken vor der Sonne.«
    Trotz der dichten Bäume um sie herum schien der Wald kein Ort, wo man einem Unwetter trotzen wollte. Makswells Mimen und ihre königliche Schutzbefohlene beeilten sich nach Kräften, in der Hoffnung, das Kloster oder zumindest höher gelegenes, trockenes Terrain zu erreichen, ehe es wirklich dunkel wurde. Der Weg war jetzt breiter, und immer wieder kreuzten ihn andere Waldwege, was Briony zum ersten Mal seit Stunden optimistischer stimmte. Gewiss näherten sie sich einem Ort, wo Menschen wohnten!
    Finn Teodorus, der an ihrer Seite dahinstapfte, war der Erste, der die Gesichter im Wald sah.
    »Psst«, machte er leise. »Briony — Hoheit. Dreht Euch nicht um, aber wartet einen Moment und schaut dann unauffällig links hinter mich. Seht Ihr da irgendetwas Merkwürdiges?«
    Zuerst konnte sie in dem komplizierten Muster von Blättern nichts ausmachen — durch das Grau, das jetzt über allem lag, ließ sich noch schwerer unterscheiden, was Beleuchtung und was Materie war —, doch dann sah sie etwas glänzen: ein schwarzes Auge in orangefarbenem Fell. Im nächsten Moment war es weg.
    »Barmherzige Zoria, was war das?«,

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