Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
seltsamen Bauwerks aus dem bewaldeten Gipfel.
    Dunst und Nebel hingen über diesem bizarren Ort wie einer der Narzissenkränze, die die Kinder am Onir-Zakkas-Fest trugen. Die Schwaden waren hier nicht nur dichter als am Fuß des Hügels, sondern auch von anderer Farbe und Konsistenz. Barrick starrte eine ganze Weile hin, bis er erkannte, dass es gar kein Nebel war, sondern Rauch, der zwischen den Bäumen auf dem Gipfel aufstieg.
    Rauch. Schornsteine. Jemand wohnte an diesem götterverlassenen Ort. Auf dem Verfluchten Berg.
    Er drehte sich jäh um, und sein Herz schlug jetzt noch schneller als während des anstrengenden Aufstiegs, doch ehe er auch nur einen Schritt bergab machen konnte, kam nirgends- und überallher eine Stimme, ein sanftes Hallen im rauschenden Wind des Hangs, aber auch in seinem Kopf.
    »Komm«,
flüsterte die Stimme.
»Wir erwarten dich.«
    Barrick musste feststellen, dass ihm seine Beine nicht mehr gehorchten, jedenfalls nicht seinem Befehl, ihn bergab zu tragen, weg von diesem seltsamen Haus, das ihn erwartete wie ein stillgelegter Brunnen, in den er fallen, in dem er ertrinken konnte.
    »Komm. Komm zu uns. Wir erwarten dich.«
    Zu seinem Erstaunen war er plötzlich ein passiver Beobachter in seinem eigenen Körper. Der drehte sich um, erklomm den Gipfelhang, bis seine Füße auf dem Steinpfad angelangt waren, und bewegte sich dann weiter auf die steinerne Behausung zu wie eine vom Wind getriebene Wolke, während Barrick hilflos von innen zusah. Das annähernd rechteckige Fenster und der dunkle Überhang kamen immer näher. Einen Moment lang war über ihm das letzte Stück Gipfelhang, dann trat er durch die Öffnung in Dunkel.
    Gleich darauf wich das Dunkel rötlichem Licht. Barrick erlangte wieder etwas Kontrolle über seine Gliedmaßen, aber nur so viel, dass er ganz kurz stehen bleiben konnte und sein Herz dreimal so schnell wie sonst schlagen fühlte, ehe der unerbittliche Sog dessen, was vor ihm lag, wieder einsetzte.
    »Komm. Wir haben lange gewartet, Menschenkind. Wir fürchteten schon, wir hätten missverstanden, was uns gegeben ward.«
    Die steinerne Behausung war auch innen kuppelartig gewölbt, ein sonderbarer, fahler, höhlenartiger Raum, dessen Höhe das Fünf- oder Sechsfache von Barricks Körpergröße betrug. Um den Scheitelpunkt zogen sich undeutbare Ritzornamente, Krakel- und Wirbelmuster, die unter dem rußigen Niederschlag des Rauchs kaum zu erkennen waren. Das rötliche Licht und der Rauch kamen von einem kleinen Feuer, das in einem Ring aus Steinen auf dem Boden aus Geröll und Erde brannte. Drei zusammengesunkene Gestalten, etwa so groß wie Barrick, saßen hinter dem Feuer auf einem niedrigen Steinpodest.
    »Du bist müde«,
sagte die Stimme. Wer sprach da? Die Gestalten vor ihm regten sich nicht.
»Du darfst dich setzen, wenn das für dich erholsamer ist. Wir bedauern, dass wir dir wenig anzubieten haben, was Essen und Trinken betrifft, aber wir sind nicht wie ihr.«
    »Wir geben ihm viel«,
sagte eine andere Stimme barsch. Sie war der ersten sehr ähnlich und ebenso körperlos, doch der härtere Klang sagte Barrick, dass es ein anderer Sprecher war.
»Wir geben ihm mehr, als wir je einem anderen gegeben haben.«
    »Weil es das ist, wofür wir gerufen wurden. Und was wir ihm geben, ist keine freundliche Gabe«,
sagte die erste Stimme.
    Barrick wollte wegrennen, wollte es mit jeder Faser, konnte sich aber immer noch kaum rühren. Der Rabe hatte recht gehabt — es war idiotisch von ihm gewesen, hierher zu kommen. Schließlich fand er wenigstens die Sprache wieder. »Wer ... wer seid ihr?«
    »Wir?«,
sagte die zweite, schärfere Stimme.
»Es gibt keinen wahren Namen für uns, den du kennen oder verstehen würdest.«
    »Sagt es ihm«,
meldete sich eine dritte Stimme, den anderen ähnlich, aber älter vielleicht und brüchiger.
»Sagt ihm die Wahrheit. Wir sind die Schläfer. Wir sind die Abgelehnten, die Unerwünschten. Wir sind die, die sehen und nicht umhin können
zu
sehen.«
Die Stimme war wie die eines wispernden Geists ganz oben in einem leeren Turm. Barrick zitterte heftig, konnte aber seine Beine nicht dazu bringen davonzurennen.
    »Du machst dem Sonnländerkind Angst«,
sagte die erste Stimme mit leisem Vorwurf
»Er versteht dich nicht.«
    »Ich bin kein Kind.« Barrick wollte diese Kreaturen nicht in seinem Kopf. Es war zu viel, so wie jene letzten Momente vor dem mächtigen Tor des Kernios — die Momente, in denen er gefühlt hatte, wie Gyir starb. »Lasst mich

Weitere Kostenlose Bücher