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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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fadenumsponnenen Köpfe und nässenden schwarzen Augen denken und sah sie im Geist lautlos durch die Baumkronen kriechen, um ihn zu umzingeln, sodass er sich schon nach kurzem zwang, wieder aufzustehen und weiterzuklettern, auf der Suche nach einer freien Stelle, von wo er einen besseren Blick hätte.
    Der Hang wurde noch steiler. Barrick musste oft die Hände einsetzen, um sich an Ästen oder hervorstehenden Felsen hinaufzuziehen, wovon sein verkrüppelter Arm bald noch schlimmer schmerzte als seine Lunge. Er pochte und brannte so sehr, dass Barrick die Tränen kamen. Die Ausweglosigkeit der Situation nahm ihm allmählich allen Mut. Er war in einem fremden Land — einem mörderischen, unbekannten Land voller Dämonen und monströser Wesen — und so gut wie völlig allein. Wie lange konnte er noch so weitermachen, ohne Hilfe, ohne Nahrung oder Waffen oder auch nur eine Karte? Ein böser Sturz, und er würde hilflos daliegen und auf den Tod warten ...
    Plötzlich stolperte er und fiel unsanft auf Hände und Knie — es tat so weh, dass er aufschrie. Er sank auf die Unterarme und starrte durch Schleier von Schweiß und Tränen auf den Boden wenige Zoll vor ihm. Irgendetwas an der Bodenstelle da war merkwürdig, wurde ihm nach einem Weilchen klar — höchst merkwürdig.
    Da waren Schriftzeichen.
    Er richtete sich auf. Er kniete auf einem plattenförmigen Stück des hellockerfarbenen Steins. Symbole, die er nicht kannte, waren tief in die Oberfläche geritzt, und wenn sie auch fast bis zur Unkenntlichkeit verwittert waren, handelte es sich doch eindeutig um das Werk einer intelligenzgelenkten Hand. Barrick rappelte sich hastig hoch. Er blickte sich um und sah, dass die Hügelkuppe längst nicht so weit weg war, wie er gedacht hatte — vielleicht nicht einmal eine Stunde, selbst bei seinem langsamen Klettertempo. Er holte tief Luft, suchte die Umgebung nach irgendwelchen Anzeichen von Seidenwicklern ab — nichts zu sehen, und zu hören nur das Seufzen des Winds in den Bäumen — und machte sich dann wieder ans Klettern. Selbst wenn er hier auf dem Verfluchten Berg sterben würde, dachte er, wäre es doch nett, vorher noch einen hochgelegenen Ort zu erreichen. Vielleicht würde der graue Himmel dort oben ja heller sein — das wäre immerhin etwas. Barrick Eddon hatte Nebel und Schatten satt, so satt!
    Während er sich den letzten Anstieg hinaufquälte, sah er, dass irgendwelche früheren Bewohner oder Besucher hier mehr hinterlassen hatten als nur eingeritzte Schriftzeichen im gelben Stein: An manchen Stellen waren vorstehende Felssimse als Dächer für steinerne Schutzhütten genutzt worden, von denen allerdings nicht viel mehr übrig war als Mauerreste aus gesammelten und sorgsam geschichteten Steinen. Als er sich dem Gipfel näherte, wurden die gelblichen Felsgebilde häufiger, große Höcker und gerundete Simse, über die sich Gestrüpp breitete wie eine rauhe Wolldecke. Zugleich wurden die primitiven Bauten komplexer, verwitterte Auswüchse des glatten Muttergesteins waren mit aufgeschichteten Felsbrocken und sogar rohen Wänden und Dächern aus Ästen verlängert und verbunden, doch das alles war leer und längst verlassen, und von den einstigen Bewohnern war nichts geblieben als hie und da eine Kette in die Oberfläche geritzter Symbole.
    Hier, in der Höhe, wo es nur noch Nadelgewächse gab, war der Nebel mindestens so dicht und schlüpfrig wie am Fuß des Hügels, aber es war noch stiller, da selbst die gelegentlichen Vogellaute fehlten, die er unten gehört hatte. Obwohl Barrick seit einer gefühlten Stunde oder länger nichts mehr von den Seidenwicklern gesehen hatte, machte ihn die bedrückende Stille hier oben nervös, und sein Plan, hier zu rasten, schien ihm jetzt blanker Unsinn. Ihm blieb nur, weiter hinaufzusteigen bis zum nahen Gipfel, hinter dem nichts als perlgrauer Himmel war.
    Er zog sich auf einen Felshöcker und sah, dass noch ein letzter Hang aus Stein, Gestrüpp und matschiger Erde zwischen ihm und dem Gipfel lag, und dass sich dort die bizarrste Behausung von allen befand, eine seltsam schief aus den Bäumen ragende Gesteinskuppel, in deren Nähe im Unterholz ein Fenster in der Form eines abgerundeten Rechtecks klaffte. Ein Steinpfad schlängelte sich von dem Kriechpflanzengewirr, in dem er stand, zu einem dunklen Überhang direkt unterhalb des Fensters. Die Felspalisaden, die er von weitem gesehen hatte und die ihm wie abgebrochene Zähne erschienen waren, ragten unmittelbar oberhalb des

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