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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Götter stürzen, und wir sahen die Traumlosen sich gegen ihre Herren in Qul-na-Qar erheben. Wir sahen die Sterblichen ins Land kommen. Das alles sahen und prophezeiten wir, aber unser Volk hörte nicht auf uns. Es fürchtete uns. Es vertrieb uns.«
    »Ich habe die Dunkellichter nie gesehen«,
sagte Hikat ärgerlich.
»Mein rechtmäßiges Zuhause ward mir genommen.«
    »Du hast sie gesehen«,
erklärte Hau.
»Du kannst dich nur nicht daran erinnern. Wir haben alle so viel vergessen, so lange gewartet ...«
    »Ich ... ich verstehe nicht«, sagte Barrick. »Ihr ... Ihr seid Traumlose? Aber ich dachte, die Traumlosen schlafen nie ...«
    »Ich will es dir zeigen.«
Die mittlere Gestalt schob ihre Kapuze zurück. Wie bei dem Mann in Große Tiefen spannte sich Haut, so fein und dünn wie Seide, über die hageren Züge, doch bei Hau war diese Haut von unzähligen feinen Falten durchzogen, so dass es aussah, als bestünde er aus Spinnweben. Der größte Unterschied aber war, dass da, wo Ueni'ssohs Augen starre, silbrig-blaue Kreise gewesen waren, das Wesen, das jetzt vor Barrick stand, nur weitere Fleischfalten unter den Brauen hatte — die Augenhöhlen waren so leer wie Senken im Wüstensand.
    »Du bist blind!«
    »Wir sehen nicht so wie andere«,
berichtigte Hau.
»Wären wir so gewesen wie unsere niemals schlafenden Brüder, wären wir in der Tat blind. Doch in unseren Träumen sehen wir mehr als jeder andere.«
    »Ich bin es leid, so viel
zu
sehen«,
sagte Huuruen traurig.
»Es macht nie jemanden froh.«
    »Die Wahrheit macht niemanden froh«,
fauchte Hikat.
»Weil alle Wahrheit in Tod und Dunkel endet.«
    »Ruhig, meine Lieben.«
Hau ließ sich wieder nieder und streckte dann seinen Gefährten die Hände hin. Nach kurzem Zögern ergriffen sie sie, sodass die Schläfer jetzt eine Kette bildeten. Hikat und Huuruen streckten die jeweils andere Hand um das kleine Feuer herum. Barrick starrte die drei durch die Flammen an und verstand nichts oder wollte nichts verstehen.
    »Fass uns an den Händen«,
sagte Hau.
»Du bist aus einem Grund hierhergekommen.«
    »Ich bin hier, weil ich mich verirrt hatte — weil diese Seidenwickler mich töten wollten!«
    »Du bist hier, weil du geboren wurdest«,
sagte Hikat, jetzt wieder ungeduldig. Die ausgestreckten Hände warteten immer noch, dass Barrick sie ergriff
»Vielleicht begann es sogar schon vorher. Aber du bist hier, und das beweist, dass du hierher gehörst. Niemand kommt ohne Grund auf den Berg der zwei Götter.«
    »Es gibt für dich eine Seite im Buch des Feuers in der Leere«,
sagte Hau.
»Wir werden sie dir vorlesen.«
    »Wartet! Da ist noch eine Seele, die dich
zu
erreichen versucht«,
sagte Huuruen.
»Eine Zwillingsseele deiner eigenen, die auf der Suche nach dir ist.«
    Briony.
Das bestimmte Barricks Entscheidung — bei den Göttern, wie hatte er sie vermisst? Er rückte etwas näher ans Feuer, damit er die beiden grauen Hände ergreifen konnte. Es war nicht kalt im Raum, aber das Feuer schien keinerlei Wärme abzugeben, nicht einmal, wenn er sich so dicht hinbeugte, und von dem flackernden Flammenschein war es kaum heller als in den tiefsten Schattenwinkeln. Obwohl ihn plötzlich eine Angst packte, die weit über das hinauszugehen schien, was die Situation rechtfertigte, ließ er seine Hände in den trockenschlüpfrigen Fingern von Hikat und Huuruen. Gleich darauf sanken seine Lider herab, und plötzlich fiel er — fiel und fiel! Stürzte hilflos in Dunkel, mit Armen und Beinen rudernd ...
    Aber wo
waren
seine Arme und Beine? Warum schien er nur ein schwerer Gedanke zu sein, der ins Nichts fiel?
    Endlich schimmerte in der Tiefe unter ihm etwas anderes als Dunkel. Einen Moment lang glaubte er, es wäre ein großes, kreisrundes Meer, gleich darauf war es wie ein Zierteich mit silbrigem Wasser, eingefasst mit hellem Stein. Dann sah er, was es war — der Spiegel, den er für Gyir überbrachte, aber viel größer. Ihm blieb nur ein kurzer Moment, sich zu wundern, wie er in etwas fallen konnte, das sich doch in seiner eigenen Tasche befand, dann tauchte er durch die kalte Oberfläche und auf der anderen Seite wieder heraus.
    Er hörte auf, sich zu bewegen. Doch der Spiegel war immer noch da, hing jetzt vor ihm auf tiefem Schwarz, wie ein Bild in der Ahnengalerie zu Hause in Südmark, und er sah darin sein eigenes Gesicht.
    Nein, nicht sein Gesicht: Die Züge der Person da vor ihm hatten sich irgendwie verändert, ohne dass er es mitbekommen hatte, glitten wie Quecksilber

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