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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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in neue Positionen, änderten ihre Farbe wie die Türme von Südmark, wenn die Morgensonne aufging und am Himmel emporstieg. Das Gesicht, das ihn ansah, war dunkelhäutig, mit schwarzem Haar, sehr jung, aber auch sehr besorgt und spitz vor Erschöpfung. Trotzdem fand er sie schön. Es war
sie,
kein Zweifel — noch nie hatte er sie so deutlich gesehen. Das Gesicht im Spiegel war das des dunkelhaarigen Mädchens, das ihn schon so lange im Traum verfolgte.
    »Du«, sagte sie staunend — sie konnte ihn also ebenfalls sehen. »Ich hatte schon befürchtet, du wärst für immer verschwunden.«
    »Das war ich auch beinah.« Er konnte sie besser sehen und verstehen als je zuvor, aber ihr Gespräch war immer noch wie ein Traum, manches ganz klar, obwohl gar nicht ausgesprochen, anderes unverständlich, obwohl gesagt. »Wer bist du? Und warum ... warum kann ich dich jetzt sehen?«
    »Stört es dich?«, fragte sie mit einer Spur von Belustigung. Sie war jünger, als er gedacht hatte, in ihrem Gesicht war immer noch ein Rest von Kindlichkeit, doch trotz ihrer klugen, freundlichen Augen war da etwas Verhaltenes in ihrem Blick, die Folge überstandener, aber nicht vergessener Verletzungen. Sie schien nur wenige Handbreit vor ihm zu stehen, doch gleichzeitig verschwamm sie und verschwand fast, wenn er die Augen bewegte, wie etwas, das man durch dichten Nebel sah, wie etwas, das man im Traum sah.
    Es ist alles ein Traum.
Plötzlich hatte er schreckliche Angst, dass er sich nicht mehr an dieses teure, inzwischen so vertraute Gesicht erinnern würde, wenn er wieder wach wäre.
    Wach?
Aber er konnte sich nicht erinnern, wo er war, geschweige denn, ob es sein konnte, dass er träumte. Wenn er schlief, wo lag dann sein Körper? Wie war er hierhergekommen?
    »Sagst du mir deinen Namen, Seelengefährte?«, fragte sie ihn. »Ich müsste ihn wissen, aber ich weiß ihn nicht? Bist du ein
Nafaz —
ein Geist? Du bist so blass. Oh, ich hoffe, wenn du ein Geist bist, bist du glücklich gestorben.«
    »Ich bin nicht tot. Ich ... ich bin mir sicher, dass ich es nicht bin.«
    »Das ist noch besser.« Sie lächelte; ihre Zähne leuchteten im Kontrast zu ihrer dunklen Haut. »Und schau doch — dein ganzes Haar ist so feuerfarben wie mein Hexenmal hier? Wie seltsam doch Träume sind!«
    Sie hatte recht — die Strähne in ihrem Haar war so rot wie sein ganzer Haarschopf. Vom Gefühl her war es mehr als nur Ähnlichkeit. »Und ich glaube auch nicht, dass ich ein Traum bin. Schläfst du?«
    Sie dachte darüber nach. »Ich weiß nicht. Ich glaube schon. Und du?«
    »Ich bin mir nicht sicher.« Doch sobald sich seine Gedanken von dem Spiegel, der im Schwarz hing, zu entfernen begannen, bekam er Angst, dass er das Mädchen nie wiederfinden würde. »Warum können wir uns sehen? Warum
sollten
wir?«
    »Ich weiß nicht.« Ihr Gesicht wurde ernst. »Aber irgendetwas muss es bedeuten. Die Götter verleihen solche Gaben nicht ohne Grund.«
    Das erschien ihm wie etwas, das er gerade gehört oder selbst gedacht hatte. »Wie heißt du?« Aber er kannte ihren Namen doch, oder? Wie konnte sie sich so nah anfühlen, so real, so ... wichtig, und doch immer noch namenlos sein?
    Sie lachte wieder, und er spürte es wie einen kühlen Windhauch auf überhitzter Haut. »Wie heißt du?«
    »Ich weiß es nicht mehr.«
    »Ich auch nicht. Es ist schwer, sich in Träumen an Namen zu erinnern. Du bist ... für mich bist du einfach
er.
Der blasshäutige Junge mit rotem Haar. Und ich ... na ja, ich bin
ich.«
    »Das schwarzhaarige Mädchen.« Aber es machte ihn traurig. »Ich will deinen Namen wissen. Ich muss ihn wissen. Ich muss wissen, dass du wirklich bist, dass du lebst. Den einzigen anderen Menschen, der mir etwas bedeutet, habe ich verloren ...«
    »Deine Schwester«, sagte sie, und ihre Miene wurde traurig. Dann fragte sie: »Woher weiß ich das?«
    Sie starrte ihn an, die Lippen leicht geöffnet, als wollte sie etwas sagen, schwieg aber eine ganze Weile. Der Spiegel schien vor dem Dunkel zu schrumpfen, obwohl Barrick immer noch ihre dichten, weichen Wimpern sah, ihre lange, schmale Nase, sogar das winzige Muttermal über ihrer Oberlippe. Er hatte Angst, wenn er zu lange schweigend abwartete, würde der Spiegel weiterschrumpfen und verschwinden. Er hätte beinah etwas gesagt, begriff aber plötzlich: Wenn sie jetzt nicht auf ihren Namen kam, ihn ihm jetzt nicht sagte, würde sie es nie tun. Er musste ihr vertrauen.
    »Ich war Priesterin im Bienentempel«, sagte sie

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